Ryūsuke Hamaguchi „Drive My Car“

Filmkritik "Drive My Car" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

© Rapid Eye Movies

„Hätte ich normal gelebt, ich wäre ein Schopenhauer geworden, ein Dostojewski!“ Immer wieder durchdenkt Kafuku diesen Satz aus Tschechows „Onkel Wanja“, der bestens zu seiner gegenwärtigen Schauspielrolle in Becketts „Warten auf Godot“ passt. Die Geschichten seiner Frau Oto, ihre Verwandlung in einen Fisch, entziehen sich dagegen jeglicher Realität, bleiben magische Abbildungen menschlicher Ängste. 

Nach außen wirkt die Beziehung sehr gepflegt und wohlhabend im Umfeld einer hochtechnisierten, japanischen Stadtkulisse auf 8-spurigen Stadtautobahnen zwischen Glasfronten und dem Luxus großzügiger Garagen. Kafukus’ rotes Auto, oft aus der Vogelperspektive gefilmt, wird zum Symbol einer emotionalen Einheit im grau-silbern nüchternen Großstadtgetriebe, aber die Sätze, die er denkt, signalisieren Misstrauen „Die Treue dieser Frau ist in jeder Beziehung unecht, voller Rhetorik, aber ohne Logik“. Und doch ist er am Boden zerstört, als sie plötzlich stirbt. 

Er nimmt eine Regiearbeit für ein Theaterfestival in Hiroshima an, bei der ihm eine junge Chauffeuse zugewiesen wird und sich ein junger Schauspieler als Bewunderer seiner Frau outet. Bei den Leseproben, noch mehr bei den Proben im Freien werden die menschlichen Schwingungen in der Literatur spürbar, die sich in den Gesprächen während der Autofahrten als Bürden des Lebens offenbaren. Jeder hat sein Stigma, ist auf seine Weise ein Mörder durch Zuspätkommen, durch Unterlassen spontaner Hilfe. Wahrheiten bohren sich wie ein Tunnel den Weg zum Licht. Doch über das Zuhören und Gehörtwerden entsteht innere Zuwendung, die selbst den Habitus japanischer Höflichkeitsformen aufbricht. 

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©Rapid Eye Movies

Durch die absolute Reduktion auf das Wesentliche macht Regisseur Ryūsuke Hamaguchi ganz im Sinne von Haruki Murakami, Beckett und Tschechows aus Epsiodenfiguren Helden des Alltags. Ein überaus ehrlicher und  ergreifender Film!

„Drive my Car“ gewann 2021 den Preis fürs beste Drehbuch (Ryūsuke Hamaguchi, Oe Takamasa) in Cannes. Der anspruchsvolle Film, bislang bei weitem nicht in jedem Kino zu sehen, startet ab 22. Juni auf Blu-ray, DVD und VoD als Heimkino.

In den Hauptrollen spielen Hidetoshi Nishijima (Yūsuke Kafuku), Reika Kirishima (seine Frau Oto), Tôko Miura (Chauffeusse).