Reiner Holzemer – „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ – ein fulminantes Schauspielerporträt

Filmkritik "Lars Eidinger Sein oder nicht sein" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Reiner Holzemer Film 

Sehr bescheiden beginnt der Film nicht mit einer fulminanten Theaterszene, sondern mit einer Fotografie. Im Umfeld von Obdachlosen mit einer Aldi-Plastiktasche löste er einen Shitstorm der Entrüstung aus, der ihn zutiefst verletzte, weil er eben nicht sein Ego höhnisch herausheben möchte, wie ihm vorgeworfen wurde. Er fühlt sich nicht über den Dingen stehend, sondern mittendrin auf der Suche nach den Botschaften, vor allem in den klassischen Texten, nach dem Sinn des Lebens. Mit welch exhibitionistischer Wucht er das macht, ist zuweilen sehr umstritten. Der Film soll das zurechtrücken. 

In Berlin geboren, an der Ernst-Busch-Schauspielschule ausgebildet, erlebte ihn sein Lehrer als das pure Gegenteil, als einen naiven, eher schüchtern zurückhaltenden Studenten, allerdings sehr neugierig, ehrgeizig und begabt in einem ohnehin außerordentlichen Anfängerkurs. Als Absolvent bekam Lars Eidinger sofort ein Festengagement an der Schaubühne, die im selben Jahr unter der Intendanz von Thomas Ostermaier neu eröffnete. Lars Eidinger fühlte sich angekommen und angenommen. Er hatte gefunden, was ihn interessierte. Die Bühne wurde sein Zuhause, ein Ort der Geborgenheit, das Spielen wie die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling. „Ich werde auf der Bühne ganz ich selbst.“ Dort kann er sein, wie er ist. Weder Biografie noch Karriere, sondern die wichtigsten Produktionen dieser Ich-Suche bilden den roten Faden des Drehbuchs. Man fragt sich, ist er tatsächlich so explosiv?

Nur in der spielerischen Auseinandersetzung mit seinen SchauspielkollegInnen kann Lars Eidinger die Rolle und sich selbst erforschen. Wird dieser Prozess gestört, dann flippt er total aus, wie eine Szene mit Regisseur Michael Sturminger eindrucksvoll zeigt. Lars Eidinger scheint sich in der Rolle des Enfant Terrible sehr gut zu gefallen. Dass der Regisseur den kreativen Schaffensprozess des Schauspielers respektieren muss, könnte man auch anders regeln. Thomas Ostermeier, Intendant der Schaubühne, kann das. Er übernimmt Lars Eidingers Ideen zu 99 Prozent. Inzwischen ist das Verhältnis wie Vater und Sohn, was von beiden Seiten eine zunehmende Abnabelungsproblematik beinhaltet, die aber nicht weiter verfolgt wird. 

Wie fulminant und subtil von innen heraus Lars Eidinger spielen kann, wird bei den Proben zu „Jedermann“ deutlich. Seine körperliche und emotionale Präsenz, dass Fallen und Stürzen, die Tränen wirken nicht gespielt, sondern erlebt. Nur schauspielerisches Talent, raffinierte Imagepflege oder Bekenntnis innerer Ergriffenheit? Bei Lars Eidinger treffen mit Sicherheit allen Varianten zu. Sensible, tiefgründige Menschen wissen um das extrem körperliche Reagieren hoher Emotionalisierung. Rasend vor Zorn spielt Lars Eidinger Richard III. als Krüppel, Hamlet mit Tourette-Syndrom, um dessen existentielle Polarität von Sein und Nichtsein sich nach Lars Eidingers Bekenntnis auch bei ihm persönlich alles dreht, was gleichzeitig den Filmtitel erklärt. 

Die Filmausschnitte beschränken sich auf die HBO-Serie „Irma Vep“ und „Alle anderen“, sein erster Film, in dem er die Rollenerwartungen des Mannes auslotet und der für ihn immer noch international eine Eintrittskarte in die Filmwelt ist. 

Als Darsteller und Regisseur seiner selbst entstand mit „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ ein mitreißendes Filmporträt immer wieder fasziniert kommentiert von renommierten Schauspielerinnen wie Isabelle Huppert. „Er hat eine außerordentliche Bühnenpräsenz. Man kann die Augen nicht von ihm abwenden.“ Und Juliette Binoche resümiert. „Er hat ein großes Ego, ist aber im Dienst einer großen Sache.“

Lars Eidinger gibt zu, dass er viele durch seine Omnipräsenz nervt. Gleichzeitig bekennt er, ich bin dann „glücklich, wenn ich schaffe und kreativ bin.“ Nach diesem Film könnte man ergänzen, und wenn er verstanden wird, denn fast leitmotivisch erwähnt er immer wieder, wie es ihn kränkt, wenn er missverstanden wird. Ein ambivalentes, sehr gelungene Filmporträt!

Künstlerisches Team: Reiner Holzemer (Drehbuch), Helmar Jungmann (Chefcutter) 

Ab 23. März ist „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ in den deutschen Kinos zu sehen.