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Der Film beginnt nicht wie bei Zweig auf Deck, wo sich ein ungebildeter, grobschlächtiger Schachweltmeister durch Schachpartien gegen vermögende Laien sein Salär aufbessert und den Schiffsgästen die lange Reise verkürzt, auf der plötzlich Bartok auftaucht, Czentovic besiegt und während dieser Meisterpartie seine Vergangenheit noch einmal erlebt.
Stölzl zeigt Bartok (Oliver Masucci) beim Einchecken auf das Schiff in Rotterdam Richtung Freiheit. In letzter Minute erscheint seine Frau Anna (Birgit Minichmayr). Die Flucht vor den Nationalsozialisten scheint zu gelingen. Die Unterbringung ist bescheiden, aber das Essen im eleganten Bordrestaurant lässt glückliche Erinnerungen in der Wiener High Society 1938 aufleuchten. „So lange Wien tanzt, geht die Welt nicht unter.“
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Doch dem ist nicht so. Die Rückblenden zeichnen ein anderes Bild, wobei die beiden Zeitebenen immer mehr verschwimmen.
Von einem Freund auf dem Nachhauseweg von einem Ball gewarnt, dass die deutschen Nationalsozialisten in Österreich noch in derselben Nacht einmarschieren werden, lässt Bartok seine Frau allein zum Zug fahren, während er noch die Codes zu den Liegenschaften seiner reichen Klientel aus Hochadel und Kirche verbrennen will. Dabei wird er inhaftiert, im Grand Hotel Metropol in Isolationshaft gesteckt und einer Sonderbehandlung unterzogen. Ein Martyrium beginnt durch völlige Isolation, Kommunikationsentzug und die Verhöre des Gestapo-Chefs, mit aalglattem Zynismus von Alexander Schuch gespielt.
An Bord beginnt Bartok seine Frau plötzlich zu vermissen und die Geschichte beginnt sich zu drehen. Die Reise wird im Gegensatz zu Stefan Zweigs „Schachnovelle“ eine Halluzination als Folge des permanenten Psychoterrors. Ein Schachbuch, bei einem Verhör geklaut, gibt Bartok geistige Beschäftigung um durchzuhalten und die Daten nicht preiszugeben.
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Aus Brotresten bastelt er Schachfiguren und beginnt gegen sich selbst zu spielen, an Bord gegen den Weltmeister Czentovic, ebenfalls von Alexander Schuch gespielt, zwar in ganz anderer Optik, aber an den Augen subtil erkennbar, wodurch Czentovic zu einer weiteren Projektionsfläche von Bartoks schizophrener Psychose wird.
Die Foltermethoden in Wien werden immer brutaler, Waterboarding, ein Freund vor seinen Augen erschossen. Die Fenster des Hotelzimmers zugemauert wird das Hotelzimmer zum Dunkelkerker, parallel dazu die Schiffskabine zur Zelle, durch die nur das Schlüsselloch Licht durchlässt. Abgemagert, gezeichnet von der Folter, völlig erschöpft und verwirrt spielt Bartok, alias Oliver Masucci, inmitten von Schachplänen wie ein Straßenköter kurz vor dem Exitus vor dem Schreibtisch beim Verhör auf dem Boden. „Er ist einfach abgehaun, ohne das Hotelzimmer zu verlassen,“ konstatiert der Gestapochef trocken und entlässt Bartok mit zynischer Großzügigkeit. Schnitt.
Eine rothaarige, amerikanisch gestylte, überaus smarte sinnliche Lady als jüngere Version Birgit Minichmayrs Anna liest Bartok in der Irrenanstalt aus Homers „Odyssee“ vor. Bekannt und sehr vertraut kommt ihm ihre Stimme zu. Oder ist sie nur eine weitere Projektion seiner Schizophrenie? Die letzte Szene zeigt Bartok wieder zusammengekauert allein am Tisch Schach spielend. Seinen Glauben an „die Unbesiegbarkeit des Geistes“ hat er für immer mit geistiger Isolation fern aller Realitäten eingebüßt.
Grandios lässt Oliver Masucci diesen Dr. Bartok, in seiner extremen Fallhöhe in allen Lebensphasen lebendig werden, vom wohlhabenden, leicht arroganten Hedonisten bis hinab zum inniglich bittenden Häftling und zur intellektuell nicht mehr erreichbaren Existenz. Eben mit der goldenen Lola des Deutschen Filmpreises als bester Hauptdarsteller in „Enfant terrible“ ausgezeichnet, ist seine Präsenz als Dr. Bartok nicht minder preisverdächtig genauso wie Regie, Drehbuch und Kamera der „Schachnovelle“.