Pedro Almodóvar – „Parallele Mütter“ – eine Hymne auf die Solidarität der Frauen 

Filmkritik "Parallele Mütter" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©El Deseo, Studiocanal

Beide Frauen gebären gleichzeitig in dem Bewusstsein, ihre Kinder ohne Vater zu erziehen. Die vierzigjährige Fotografin Janis ist glücklich, endlich noch ein Baby zu bekommen, die junge, noch nicht volljährige Ana todtraurig. Schon an den Besucherinnen wird deutlich, dass das Umfeld unterschiedlicher nicht sein könnte. Janis Freundin, von Rossy de Palma wieder herrlich temperamentvoll und herzlich interpretiert, erweist sich als Kumpel in jeder Lebenslage. Anas Mutter, in deren Rolle Aitana Sánchez-Gijón immer neue Facetten entdeckt, bleibt dagegen zunächst sehr distanziert, zieht die plötzlich sich ergebende Karriere als Schauspielerin der Oma-Rolle vor und schafft gerade beim Vorsprechen eines Monologs einer todtraurigen Frau, die es verpasst hat Mutter zu werden, ihren Durchbruch. Jede Frau lotet Pedro Almodóvar in ihrer menschlichen Tiefe aus und gibt ihr vor allem Raum sich weiterzuentwickeln. Es ist die menschliche Wärme und Tiefe der Frauen, durch die Almodóvar die sehr triviale Story von „Parallele Mütter“ über eine simple Seifenoper mit arg romantisierendem Soundtrack zur Hymne weiblicher Solidarität und Herzensaufrichtigkeit erhebt.

Beider Frauen Leben ändert sich grundlegend. Janis hat eine Affäre mit dem forensischen Historiker Arturo hinter sich und begreift das Baby als letzte Chance, mit 40 noch Mutter geworden zu sein. Ana verlässt als heulendes Elend die Klinik. Sie wurde alkoholisiert auf einer Party zum Sex gezwungen. Wenige Monate später ist die emotionale Stimmungslage umgekehrt. Doch durch die Solidarität der Frauen gelingt ein Happyend für beide.

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©El Deseo, Studiocanal

In „Parallele Mütter“, nach 22 Jahren Produktionsstille Almodóvars Alterswerk, geht es ihm nicht mehr so sehr um die überraschenden Effekte, noch weniger um die Lust aus unterdrückten Begierden. Durch die Ausgrabungen des Archäologen als Rahmenhandlung, angeregt von Janis, um für die Familie den erschossenen Urgroßvater zu finden, spannt Almodóvar den Bogen vom Einzelschicksal von Freundschaft und Familie, Treue und Zuverlässigkeit bis hin zur gesellschaftlichen Bedeutung der geschichtlichen Vergangenheit für die Gegenwart.

Schon sehr früh wird klar, warum Janis und Anas Leben so eng miteinander verbunden ist. Das Filmgeschehen lässt die Zuschauer schnell mehr ahnen, als die beiden Frauen wissen. In der Realisierung ist die Geschichte wie immer bei Almodóvar perfekt ästhetisiert. Die Babys sind wie in der Werbung stets hübsch und adrett, nie verkleckert, nie mit vollen Windeln. Sie lächeln und gurren ohne zu schreien. Janis fotografiert stilsicher und sexy den schönen Schein der Mode und allesamt sind sie lässig, elegant oder extravagant gestylt. Doch die extrem unterschiedliche Optik unterstreicht nur einmal mehr die tiefe Solidarität, die diese Frauen verbindet. Sie wollen nur eines, dass es allen gut geht und vermitteln diese Botschaft durch ihre schauspielerische Expression sehr subtil und authentisch Arturo (Israel Elejalde), Janis Freund, teilt diese Qualität der Frauen. 

„Parallele Mütter“ ist letztendlich eine Fortsetzung von Almodóvars Bewunderung für Frauen, Schwangerschaft und Familie, verknüpft mit seinem zweiten Lebensthema, der Geschichte Spaniens. Dieses Mal intensiviert durch den Kontext dreier Generationen Ana ist zu jung, um Janis Joplin zu kennen, weiß trotz ihres Bildungshintergrunds nichts von der Grausamkeit des Franco-Faschismus. Doch wenn am Schluss von „Parallele Mütter“ alle betroffen und gerührt vor dem Massengrab der Großväter stehen und Almodóvar sie selbst tot auf die Skelette projiziert, entwickelt sich Almodóvars symbolische Abgründigkeit, die durch den Ukraine-Krieg eine völlig überraschende Aktualität gewinnt.