©Majestic Filmverleih, 2024
Andrea (Birgit Minichmayr) ist eine taffe Polizisten, vifer als ihre Kollegen. Deshalb will sie weg von Hollabrunn nach St. Polten, wo es interessantere Aufgaben für sie gibt. Von ihrem Mann will sie eine einvernehmliche Scheidung. Der rastet vollkommen alkoholisiert aus, torkelt nach einer Geburtstagsfeier nach Hause und rennt Andrea in den Wagen. Ihre Reanimationsversuche scheitern. Sie begeht Fahrerflucht. Ein alter Lehrer (Josef Hader) überfährt den Toten ein zweites Mal und nimmt die Schuld auf sich. Andrea scheint gerettet, aber die ethische Haltung des alten Religionslehrers verändert sie.
In langen Einstellungen, harten Schnitten, wortkargen, aber pointierten Dialogen, die Kamera auf den Gesichtsausdruck gerichtet gelingt ein Porträt von schrulligen Menschen, die von provinzieller Stumpfheit geprägt sehr nah beieinander aneinander vorbei leben. Das ist kein Film, der krachende Lacher provoziert. Zu sehr breitet sich die bleierne Melancholie in diesem Haderschen Typenarsenal aus, das er mit kabarettistischem Fingerspitzengefühl auf die Spitze treibt, nicht um zu karikieren, sondern um die menschliche Not dieser Menschen zu zeigen.
Anekdotenhaft reiht er die Handlungsszenen aneinander, dazwischen Standbilder, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Die Bausubstanz wirkt marode. Bier und Rausch bestimmen die Freizeit. Das Leben lahmt. Die Polizei kontrolliert, wo es eigentlich nichts mehr zu kontrollieren gibt, weil sich die Provinz ohnehin auflöst, die Alten wegsterben und die Jungen wegwollen. Wäre nicht der Rasenroboter, das Minitrampolin für die Kinder, ein paar Jugendliche auf ihren Motorrädern, der moderne Bahnhof und das sich mondän gebende Verwaltungsviertel vom nahen St. Pölten erschiene der Film wie eine Rückblende in die 1960er Jahre. Der Traktor, der wiederholt das Bild quert, versinnbildlicht die Verlangsamung der Zeit, die große, trotzdem lächerlich mickrig wirkende Blütenskulptur im autofreien Kreisverkehr die fehlende Energie jeglicher Veränderung. Eine geschlossene Gesellschaft von Einheimischen kreist um sich, die nichts mehr fürchtet als Türken als Nachbarn. Verändert haben sich allerdings die mitmenschlichen Beziehungen. Das flüchtige Beileidwünschen wird zur Slapstickeinlage. Männliche Hilfsbereitschaft im Hinblick auf sexuelle Avancen wehrt Andrea erfolgreich ab. Birgit Minichmayr spielt sie mit gekonnter Ambivalenz zwischen dümmlicher Stumpfheit, stoischer Ruhe und sturem Selbstbewusstsein. Der eigentliche Held ist allerdings Hader als alter, naiver Religionslehrer, ein „armer Teifel“, der den Anschluss längst verpasst hat. Wie aus der Zeit gefallen wirkt er. In seiner tapsigen, überaus ehrlichen Art wird er zum Unikum, der, ohne dass es ihm bewusst wird, im vorauseilenden Gehorsam, die er ein Leben lang praktiziert zu haben scheint, alle Schuld des tödlichen Autounfalls auf sich nimmt. Doch gerade aus diesem Antihelden entzündet Josef Hader die Kraft moralischer Standfestigkeit, die im Heute allzu leicht den Bach hinunterrutscht, womit er den Abgesang der Provinz doch etwas vergoldet.
„Andrea läss sich scheiden“ ist ein Film für Hader-Fans oder die es werden wollen, vorausgesetzt man versteht den niederöstereichischen Dialekt. Deutsche Untertitel gibt es im Kino nicht.
Künstlerisches Team: Josef Hader (Drehbuch, Regie), Florian Kloibhofer (Regie), Carsten Thiele (Chef-Kameramann), Martina List (Chef-Kostümbildnerin), Roland Stöttinger (Chef-Cutter)
Mit: Birgit Minichmayr, Josef Hader, Thomas Schubert, Robert Stadlober, Branko Samarovski, Maria Hofstätter, Marlene Hauser