"Kultur macht glücklich"


Joachim Trier – „Sentimental Value“ – ein subtiles Familiendrama 

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Joachim Trier – „Sentimental Value“ – ein subtiles Familiendrama 

©Plajion Picture

Nora soll aus der Perspektive eines Objektes einen Aufsatz schreiben. Sie wählt das Haus ihrer Eltern und Großeltern. Es wird zum…

Symbol für eine bewegte Familiengeschichte, deren „Sentimental Value“ hinterfragt wird. Schon das Fundament war nicht richtig ausgelotet. Der Riss wurde im Lauf von vier Generationen immer deutlicher. Von außen wirkt es durch die rot umrahmten, großen Fenster und das Grün rundherum sehr gemütlich und transparent. Der Film offenbart das Gegenteil und der kleine Holzofen, durch den man im ersten Stock die Gespräche darunter in der Bibliothek mithören konnte, spielt auf die NS-Vergangenheit an. 

In harten Schnitten offenbart Joachim Trier über vier Generationen hinweg die familiären Verwerfungen. Durch Close-ups und Schuss-Gegenschuss-Szenen verdichtet er die emotionale Spannung, die durch Hard Cuts to Black abrupt unterbrochen werden, um das Geschehen wieder zu versachlichen und anderen Handlungssträngen nachzuspüren, provoziert durch das Filmprojekt des zurückgekehrten Vaters. 

Nacheinander erhellt sich, warum die beiden Töchter Nora und Agnes ihren Vater, einen Filmregisseur, so stark ablehnen. Er verließ die Familie. Nora, erfolgreiche Theaterschauspielerin leidet unter Panikattacken und Einsamkeit. Agnes findet durch ihren Mann und ihren 9-jährigen Sohn Erik Halt. 

Als die Mutter stirbt, kehrt der Vater Gustav, ein renommierter Filmregisseur, völlig unerwartet zurück. Er will einen Film über seine Frau machen. Über das Film-im-Film-Motiv gelingt es Trier die Protagonisten mit viel Empathie, vor allem den Vater von einer ganz anderen Seite zu zeigen. Gleichzeitig wird die Kunst des Films zum Katalysator für Lebensbewältigung. Sehr subtil offenbart der Film, warum die Menschen so geworden sind, wie sie sind. Entfremdungen weichen. Verständigung wird möglich. 

„Sentimental Value“ ist gleichzeitig ein Plädoyer für die Kunst, frei und authentisch zu agieren. Nicht zuletzt durch das schauspielerische Talent von Stellan Skarsgård gelingt eine neue Wahrnehmung Gustavs, der in seiner Vaterrolle versagte, aber intuitiv geprägt von seiner, wie sich herausstellt, schwierigen Kindheit, den Mut hat, das zu tun, was sich für ihn authentisch anfühlt. Über diesen Weg erreicht er auch seine Töchter.

„Sentimental Value“ wurde beim diesjährigen Filmfestival in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Ihn als den gefühlvollsten Film des Jahres zu bezeichnen ist überzogen, weil man nicht alle Filme kennen kann, aber der Film hat durchaus großen emotionalen Tiefgang und eine zu Tränen rührende Sequenz, als beide Töchter endlich das Drehbuch lesen. Was stört ist die Synchronisation des Vaters und seiner Freunde. Die betulich großväterliche Stimmführung wirkt aufgesetzt, so gar nicht authentisch. 

Künstlerisches Team: Eskil Vogt (Drehbuch), Joachim Trier (Drehbuch, Regie) 

Mit: Renate Reinsve (Nora), Inga Ibsdotter Lilleaas (Agnes) , Stellan Skarsgård (Vater Gustav), Elle Fanning (Schauspielerin Racquel Kemp)