"Kultur macht glücklich"


Film – „Transit“ von Christian Petzold

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Film –  „Transit“ von Christian Petzold

 

Erzählt wird wie bei Anna Seghers aus der Ich-Perspektive Georgs, einem jungen Mann, dem sich durch die Übergabe zweier Briefe die heimliche Fahrt in einem Zugcontainer nach Marseille und eine neue Identität eröffnet. Der Adressat, der Schriftsteller Weigel, hat sich umgebracht. Georgs Freund wird verhaftet. Der kranke Mann, den Georg nach Marseille bringen soll, stirbt unterwegs. In Marseille wird er selbst für Weigel gehalten, bekommt dessen Transitvisum nach Mexiko. Auf das Schiff wartend entwickelt sich eine fein gesponnene, schlicht und lebensnah formulierte Geschichte, die verwickelter nicht sein könnte,  gerade so wie es in Weigels letzten Manuskript zu lesen ist.

Ein Satz daraus, „Hier, das ist die Hölle“ wird für Georg und die Menschen um ihn herum zur Realität. Sie hungern, werden krank, sterben, bringen sich um, verschwinden, suchen vergeblich nach den Menschen, die sie lieben und wollen ständig ihre Geschichte erzählen, um sich davon endlich zu befreien. Doch die Geschichten kleben an den Menschen und enden dramatisch.

Ein kleines Restaurant wird zum Treffpunkt der Protagonisten. Der Barkeeper beschreibt die physische und psychische Verfassung der Menschen wie ein Schriftsteller ganz nah und doch aus weiter Ferne und die Schauspieler verdichten allein durch ihre Blicke die Abgründe menschlicher Isolation. Sie blicken sich an, kennen sich nicht, verlieren sich aus den Augen und finden sich doch wieder, nebeneinander in die Weite blickend, bleibt jeder in seiner Welt, ohne wirklich auf den zugehen zu können. Menschliche Zuwendungen entwickeln sich langsam, schaffen Erwartungshaltungen, die nicht erfüllt werden können und enden tragisch.

Michaela Schabel besuchte für schabel-kultur-blog.de Christian Petzolds Film "Transit" nach dem Roman von Anna Seghers

©zdf/Marco Krüger

Das berührt, weil Franz Rogowskis mit seiner charismatisch linkischen Aura und leicht lispelnden heiseren Stimme eine treffsichere Authentizität gibt. Er entwickelt diesen Georg aus einem Überlebenspragmatismus in eine distanzierte Unabhängigkeit, die menschliche Zuwendung selbst unter eigener Lebensgefahr ermöglicht und um der eigenen Einsichten willen keine billigen Lösungen zulässt.

Genauso charismatisch, unnahbar rätselhaft spielt Paula Beer Marie, eine Frau, die ihren Mann die Treue hält, obwohl sie ihn verlassen hat.

In immer neuen Augenblicken steigert Christian Petzold die rätselhaften Verflechtungen. Die Kamera verlangsamt durch lange Einstellungen die politische Hektik des Geschehens, vermittelt die schleppende Zeit des Wartens, während die Säuberungsaktionen unaufhaltsam nahen.

Harte Schnitte schaffen quälende Situationen des Verschwindens und befreiendes Wiedersehen. Leitmotivisch wird der Gang zur überfüllten Botschaft zur Frage über Leben und Tod. Eben noch stilvolles Dinner zu zweit,  Zigarette rauchend an der Festungsmauer mit Annäherungsambiente schockiert der Schwenk der Kamera. Tod liegt die Frau unten auf der Straße. Ohne Schiffsticket bleibt nur noch der Selbstmord.

Menschen verschwinden. Über alle Berge ist die Mutter mit dem kleinen Jungen, der in Georg einen Ersatzvater fühlte. Stattdessen signalisiert eine muslimische Frau im Treppenhaus ethnische Veränderung und mit einer arabischen Großfamilie dicht gedrängt im geöffneten Türrahmen wird der Zuschauer völlig unvermittelt mit der Problematik der heutigen Flüchtlingsmisere konfrontiert..

Ungewiss endet „Transit“, doch der Blick Franz Rogowskis lässt die Zuschauer mit einem Funken Hoffnung zurück. Prädikat: sehr sehenswert.

Michaela Schabel