Film – „Shoplifters“ 

Der Vater lenkt ab, der Sohn klaut die Lebensmittel. Auf dem Nachhauseweg finden sie ein verängstigtes kleines Mädchen und nehmen es mit. Nun sind die Shibatas am Rande Tokios in dem winzigen Häuschen der Oma zu sechst und leben von deren Rente. Sie sind arm, sehr direkt, aber herzlich.  Mit sehr viel Feingefühl entwickelt Regisseur Hirokazu Kore-eda eine zugespitzte Milieustudie japanischen Großstadtlebens  zwischen Existenzminimum, beruflicher Ausbeutung, diebischer Selbsthilfe und einen eigenen, sehr pragmatischen Wertegefühl. Sie nehmen sich, was die Gesellschaft ihnen verwehrt. 

Trist ist der  berufliche Alltag des Vaters als Hilfsarbeiter am Bau. Nach einem Arbeitsunfall bekommt er keine Rente. Seine Frau wird wegen finanzieller Engpässe in der Wäscherei entlassen. Die Halbschwester animiert in der winzigen Box einer Peep-Show. So zieht der Film den Besucher auf die Seite dieser Familie, die im herzlichen Umgang mit der Kleinen ihre Großzügigkeit beweist.

Alltäglich, belanglos sind die Gespräche. Umso mehr kommen die wenigen bedeutsamen Sätze zur Wirkung, Die Arbeit beginnt erst um 10 Uhr, „damit wir nach und nach ärmer werden“. Der Vater lacht trotzdem. Genauso wie die Oma, die lieber mit ihrer bunt zusammengewürfelten Familie lebt als allein zu sein, heimlich aber  so viel Geld hat, dass sie es in Spielhallen verjubelt. Sehr sympathisch gespielt, werden in jeder Figur auch die negativen Facetten deutlich.

Als roter Faden durchzieht die Frage nach den Wert der Beziehungen den Film. Sind ausgesuchte Eltern besser als die eigenen? Was macht eine Familie aus? Was weiß man überhaupt vom anderen? Was ist letztendlich wahr?

In subtilen, symbolischen Szenen fängt Hirokazu-Kore-eda ein, was Menschlichkeit ausmacht, wie sie sich ganz zart entwickelt, woran sie zerbricht.

Der Vater lenkt ab, der Sohn klaut die Lebensmittel. Auf dem Nachhauseweg finden sie ein verängstigtes kleines Mädchen und nehmen es mit. Nun sind die Shibatas am Rande Tokios in dem winzigen Häuschen der Oma zu sechst und leben von deren Rente. Sie sind arm, sehr direkt, aber herzlich.  Mit sehr viel Feingefühl entwickelt Regisseur Hirokazu Kore-eda eine zugespitzte Milieustudie japanischen Großstadtlebens  zwischen Existenzminimum, beruflicher Ausbeutung, diebischer Selbsthilfe und einen eigenen, sehr pragmatischen Wertegefühl. Sie nehmen sich, was die Gesellschaft ihnen verwehrt. 

© Le Pacte

Höflich agieren die Unternehmer und zerstören doch das Leben der Mitarbeiter. Die Kleine verbindet ein ähnliches Brandmal mit ihrer neuen Mutter. Die Halbschwester findet in einem ihrer Freier, einem verstörten jungen Mann, der nur gestreichelt werden will, ihre erste Liebe. Der Besitzer eines kleinen Ladens schenkt den diebischen Kindern Süßigkeiten statt sie anzuzeigen. Der gemeinsame Ausflug zum Meer wird zum Sinnbild puren Familienidylls, das Hirokazu Kore-eda gnadenlos zerlegt, als die Oma stirbt und neue Wahrheiten entdeckt werden, die die menschlichen Beziehungen neu ordnen.

Ryuto Kondo filmt  mit dokumentarischer Distanz in ganz ruhigen Einstellungen  mit harten Schnitten, zweimal  von oben  Vater und den Sohn als zentrales Motiv. Sie nähern sich spielerisch an, aber nicht ganz. Sie bauen einen Schneemann, der am anderen Tag noch mächtig, wenn auch ziemlich verschoben dasteht. Jedes Detail hat seine metaphorische Bedeutung, wodurch der Film eine ungewöhnliche emotionale Tiefe und Dichte gewinnt.

Es spricht für die Jury in Cannes, dass dieser Film 2018 mit der  Goldenen Palme ausgezeichnet wurde.

Michaela Schabel