Die Vorgeschichte liefert „Kirschblüten – Hanami“. Der Witwer Rudi (Elmar Webber) reist aus Schmerz über den Verlust seiner Frau (Hannelore Elsner) nach Japan, um seinen jüngsten Sohn Karl (Golo Euler), einen erfolgreichen Banker zu besuchen. Der hat keine Zeit für ihn, aber ein japanisches Mädchen. In sie verliebt sich der Vater. Yu (Aya Irizuki) ist beider Tochter.
Nach einer alkoholisierten Nacht steht diese Yu plötzlich vor Karls Tür. Er lässt sich darauf ein, ihr sein gehasstes Elternhaus zu zeigen. Dort beginnt ein raffiniertes Spiel zwischen „Kirschblüten & Dämonen“, Realität und Halluzinationen. In mysteriösen Flashbacks erlebt Karl die Prägungen seiner Kindheit noch einmal, die Tratzereien und Schläge der beiden älteren Geschwister, weil er Mamas Liebling war, die Depressionen der Mutter, die verdrängte Nazivergangenheit des Vaters. Raffiniert verwebt die Kamera Realität und Traum, erschließen sich aus den Dämonen der Hirngespinste die prägenden Lebenserfahrungen Karls, der immer anders war, zart, verletzbar wie ein Rebhuhn. „Nie ein richtiger Mann“ grub sich in seine Seele ein, ein Satz, den er oft von allen Seiten zu hören bekam.
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Dramaturgisch sehr geschickt lässt Doris Dörrie zusätzlich die gesellschaftlichen Selbstfindungsmuster des sozialen Umfelds aufleuchten, die Rebellion des Neffen gegen die rechtsradikale Parteizugehörigkeit des Vaters, Karls dominante Schwester (Birgit Minnichmayer) als Singlemutter zweier dunkelhäutiger Mädchen, die Brutalität der Dörfler unter dem Deckmantel des Volkstums beim Winteraustreiben.
Schwenkt die Kamera in die Wipfel der nächtlichen Wälder vereist die Seele an Einsamkeit. Draußen und drinnen ist es kalt. Daran ändert auch das digitale Feuervideo im Handy nichts. Die Dämonen lauern überall. Karl rennt davon, Yu bietet ihnen Tee an. Das ist der Unterschied, den Karl allmählich begreift. Doch erst im Rausch, als er im Wald fast erfriert und seine Männlichkeit verliert, verwandelt sich sein existenzieller Urschrei in die befreiende Einsicht seines Anderssein. Yu ist verschwunden und die Dämonen werden freundlicher.
Immer wieder überrascht der Film durch ganz originäre Bilder. Der zusammengeklebte Rebhuhnteller symbolisiert den Beginn eines zerbrochenen, immer noch zerbrechlichen, aber in Notsituationen doch zusammenhaltenden Familie. Der Fuchs, Symbol für die Schwester, ist gar nicht mehr gefährlich. Die rosa Telefonschnur stellt die Verbindung zu den Seelengeistern her, und die verwandeln sich allmählich in Kuschelmonster, dankbar für jede liebe Zuwendung.
Erst jetzt beginnt Karl sich selbst zu akzeptieren. Er reist nach Japan, um Yu wiederzufinden. Yus Großmutter (Kiki Kirin) konfrontiert ihn mit den Tatsachen. Doch Karl begeht nicht wie Yu und Yus Mutter Selbstmord. Die rosarote Telefonleitung zieht ihn zwar ins Meer hinaus gleichzeitig gibt ihm Halt sich zu wehren und jetzt sein Leben im Frieden mit seinen Dämonen zu leben. Mit „Kirschblüten & Dämonen“ ist Doris Dörrie ein wunderbar poetischer Film gelungen, dessen Bildwelt sich tief in die Seele eingräbt und seelische Phänomene ganz subtil erklärt.