"Kultur macht glücklich"


Berlinale – eröffnet mit Tom Tykwers neuem Film „Das Licht“, einer Generalabrechnung mit unserem Lebensstil 

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Berlinale – eröffnet mit Tom Tykwers neuem Film „Das Licht“, einer Generalabrechnung mit unserem Lebensstil 

©Frederic Batier/X Verleih AG

Mit Spannung als Eröffnungsfilm der 75. Berlinale erwartet, nicht unter der Rubrik „Wettbewerb“, sondern unter „Berlinale Special“ präsentiert Tom Tykwer, bekannt durch „Lola rennt“ (1998), „Das Parfüm“ (2006) und „Berlin Babylon“ (2017), einen Film, der alles will, großes filmisches Können beweist, doch nicht wirklich begeistert…

Die Story ist simpel. In der intellektuellen Mittelschichtsfamilie Engel lebt jeder für sich dahin. Der 16-jährige Sohn verschanzt sich in seinem Zimmer in seiner VR-Welt. Seine Zwillingsschwester zieht tagelang mit ihrer Clique high durch die Clubs und sorgt durch waghalsige Demonstrationen für Verkehrsstau. Die Mutter pendelt wegen des Aufbaus eines pädagogischen Theater-Förderprojekts zwischen Berlin und Nairobi. Der Vater punktet in einer Werbefirma mit den flotten Agitationssprüchen seiner Tochter. Sie ist die Rebellin, die ihren Eltern Verschwendungssucht, Egoismus und Lieblosigkeit vorwirft. „Nobody loves me.“ Das gilt für alle vier, ohne dass sie erkennen, was ihnen fehlt. 

Mit Farrah aus Syrien, der neuen Haushälterin, beginnt sich einiges zu ändern. Sie nimmt Anteil, ermutigt, lobt, signalisiert Wärme, wird das mütterliche Zentrum der Familie. Sie schafft, was der psychologischen Eheberatung seit Jahren nicht gelingt, die Beziehungen wieder einzupendeln, und sie kann sich dadurch von ihrem eigenen Traumata, dem Verlust ihres Mann und ihrer 16-jährigen Zwillinge auf der Flucht mit dem Boot befreien. Dabei spielt das Licht einer hochtechnisierten Lampe eine große Bedeutung, durch deren neurologische Strukturen sie Kontakte zu verstorbenen Seelen herstellen kann, sozusagen als wissenschaftliche Weiterentwicklung spiritistischer Sitzungen. 

Licht ist vorerst im Berliner Alltag der Engels Mangelware. Nicht nur die Altbauwohnung ist abgedunkelt, ganz Berlin verschwimmt nach einem Gewitter und einem kurzen Regenbogen, der symbolisch eine neue Zeit verkündet. Im Zentrum steht zunächst eine sintflutliche Untergangsstimmung infolge einer anhaltenden Regenfront, wodurch die Engels ständig klatschnass und zu spät ankommen.

Farrah muss die ganze Problempalette der Familie abarbeiten. Nur wenn der kleine Stiefbruder mit nigerianischem Vater für ein paar Tage bei den Engels untergebracht ist, wird gelacht und gesungen. Die Engels entpuppen sich als Seismograph einer defizitären Wohlstandsfamilie, gleichzeitig als Auslaufmodell des kolonialen Europas. „Wir sind out.“ 

Die Vielfalt der Problematiken peppt Tykwer mit unterschiedlichsten Filmgenres auf. Virtuellen Game-Welten wechseln mit tänzerisch animierten Flugsequenzen beim ersten Rendezvous. Demonstrationen verwandeln sich in Musicaleinlagen und Vertrauen wird durch thrillermäßige Apokalypse getestet. 

Der Alltag der Engels wird immer trister. Der Vater verliert seinen Job, hat in Konkurrenz mit Frauen, Lesben keine Aussicht auf eine Neueinstellung. Die Mutter entschwindet ihr Herzensprojekt in Afrika. Die Situation eskaliert. Man versteht, warum ihr Ex-Geliebter nach Nairobi zurückgeht.

Farrah dagegen bringt durch Zuwendung, Vertrauen Liebe, so die Botschaft des Filmes, wieder Licht in die Familie. Zwischen Satire und Kitsch, Realität und Phantasie balanciert Tykwers „Licht“ hin und her, dabei ist das Heile-Welt-Happy-End doch gar nicht so schwierig anzupeilen. Eben doch nicht, das ist Cruz dieser Verharmlosung. 

Künstlerisches Team: Tom Tykwer (Drehbuch, Regie), Christian Almesberger (Chef-Kameramann), Pierre-Yves Gayraud (Chef-Kostümbildner) 

Mit: Tala Al Deen (Farrah), Lars Eidinger (Vager,Tim Engel), Nicolette Trebitz (Mutter Milena), Elke Biesendorfer (Tochter Frieda), Julius Gause (SohnJohn), Elyas Edridge (Ingenieur aus Kenia stammend)