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Arthur Francks Dokumentarfilm „Der Helsinki-Effekt“ – Weltgeschichte anders als erwartet

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Arthur Francks Dokumentarfilm „Der Helsinki-Effekt“ – Weltgeschichte anders als erwartet

©Rise and Shine Cinema

Wie kann man jahrelange Verhandlungen um ein- und dasselbe Thema dokumentarisch interessant aufbereiten? Als Antwort entwickelte der finnische Regisseur Arthur Franck…

ein Drehbuch in 12 Kapiteln rund um die Abschlussakte der KSZE, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Wer einen reinen Dokumentarfilm mit vertiefenden Hintergrundinformationen erwartet wird enttäuscht. Das Drehbuch beschränkt sich auf die Oberfläche der Verhandlungen, konzipiert als Collage mit Vorgriffen und Rückblenden, kritischer Erzählstruktur, hintersinnigen Fragestellungen und individuellen Kommentaren. Die inzwischen öffentlich zugänglichen Protokolle von Gesprächen zwischen dem US-Außenminister Henry Kissinger, dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko und des sowjetischen Generalsekretärs Leonid Breschnew lässt Franck durch Voice-AI stimmlich durch Zitate lebendig werden. Dabei fokussiert er nicht auf die detailgetreue Darstellung der komplexen Verhandlungen, sondern auf das Auftreten der politischen Hauptakteure und deren emotionale Außenwirkung, wie beispielsweise Helmut Schmidt friedlich neben Erich Honecker oder den Gesinnungswandel Henry Kissingers, der sich zunächst von der Materie gelangweilt fühlte und die Abschlussakte schließlich als „bedeutende diplomatische Leistung des Westens“ einstufte.

Der „Helsinki-Effekt“ beginnt dramaturgisch bestens in Szene gesetzt mit dem Grande Finale, als Breschnew freudestrahlend das Dokument unterschreibt und der Sprecher moniert. „Dieser Mann ist gerade im Begriff, einen großen Fehler zu machen“. Die Begeisterung des damaligen finnischen Präsidenten Urho Kaleva Kekkonen bei der ersten KSZE am 3. Juli 1973 die ganze Welt bei sich zu Gast zu haben, verflog schnell, angesichts der sich entwickelnden 672 langwierigen Verhandlungen. Die kontroversen Emotionen Breschnews bilden die Eckpunkte für den weiten Spannungsbogen diplomatischer Bemühungen, die sich im Rückblick in eine ganze andere Richtung entwickelten, als er sie visionierte. „Wir wollen ein Dokument“, so Breschnew, das die russischen Grenzen sichert. Er unterschrieb aber ein Dokument, das die Wiedervereinigung im Sinne des Westens nicht ausschloss. 

Bis zum 1. August 1975 musste Breschnew auf die Unterschreibung der Abschlussakte warten. Sein Gemütszustand schwankte immer stärker zwischen Enttäuschung und Zorn. „Ich habe von den endlosen Verhandlungen die Nase voll“, doch er blieb präsent und unterschrieb das Dokument, ohne sich bewusst zu sein, dass er mit dieser Unterschrift den Widerstand aller von der Sowjetunion und anderen Länder unterdrückten Völker schürte, wie die polnischen Solidarność-Gewerkschaft, die tschechoslowakische Charta 77 und andere Initiativen im Ostblock, die sich ausdrücklich auf den Grund- und Menschenrechtsteil der Schlussakte beriefen und damit Glasnost, Perestroika und am Ende die Auflösung der Sowjetunion und des Comecon1989 einleiteten. 

Francks Film „Der Helsinki-Effekt“ mit der Botschaft nach Diplomatie passt bestens in die derzeitig verworrene politische Lage. Eine einzige kriegerische Intervention zerstörte an einem Tag den europäischen Frieden, der über 70 Jahre lang aufgebaut worden war. Putins Weigerung an Friedensverhandlungen teilzunehmen signalisiert umso mehr die Bedeutung miteinander ins Gespräch zu kommen, um Kompromisse ausloten zu können. Die langen ­Verhandlungsrunden, die endlosen Diskussionen, die Berge von Papieren, „all das ist immer besser als die Alternative“, konstatiert Franck am Ende des Films.

Arthur Francks Film „Der Helsinki-Effekt“ ist ab morgen, 12. Juni, in den deutschen Kinos zu sehen.