Mit 80 Jahren in Mata-Hari-Outfit als goldene Schlangentänzerin oder Mickey Mouse auf der Eisfläche? Was zunächst als Kitsch in Potenz wirkt, bekommt…
©moviepilot, 2024
Mit 80 Jahren in Mata-Hari-Outfit als goldene Schlangentänzerin oder Mickey Mouse auf der Eisfläche? Was zunächst als Kitsch in Potenz wirkt, bekommt…
in „Ice Aged“ eine ganz neue Dimension. Mit sehr viel Feingefühl dokumentiert Alexandra Seil in ihrem Film die Weltmeisterschaft im Hobbyeiskunstlauf in Oberstdorf, bei der neben Laien auch ehemalige Profis um den Titel konkurrieren und sich in ihre Erfolgsjahre für wenige Minuten zurückträumen. Alexandra Seil beobachtete sie ein Jahr lang während des Trainings in ihren heimischen Eishallen für die Weltmeisterschaft der Hobbyeisläufer im oberbayerischen Oberstdorf und ergründet, warum sie diese Strapazen im hohem Alter auf sich nehmen.
Aus einem Puzzle von Porträts wird die Faszination am Eislaufen deutlich, aber auch die körperliche und psychische Pein, das ehemalige Niveau nicht mehr realisieren zu können, die Beschränkungen durch das Alter in jeder Trainingseinheit neu zu erleben und trotzdem weiterzumachen. „Die Erinnerungen sind der Motor.“
In der Sowjet träumte jedes Mädchen davon im Hinterhof entdeckt und eine Eisprinzessin zu werden. Für Elena Rickmann erfüllte sich dieser Traum zunächst nicht. Ihre Mutter schlug sie, sperrte sie ein. Ihre Tochter sollte einen ordentlichen Beruf erlernen. Doch Elena realisierte, was niemand für möglich gehalten hatte. Sie wurde im Eissportzentrum Westfalen für eine professionell Ausbildung zugelassen. Ihre aufwändigen Kleider nähte sie selbst.
Linda schwänzte die Schule, tanzte lieber in der Eis-Disko, wo sie in den 1960er Jahren entdeckt wurde. Sie siegte dreimal beim britischen Paarlauf. Nach einem halben Leben, zwei Schicksalsschlägen, geplagt von Depressionen und Magersucht kehrte sie mit 70 Jahren zum Eistanz zurück, der ihr neue Lebensfreude gab.
Eine sanfte Stimme aus dem Off erzählt den Werdegang und Schwierigkeiten, erklärt die Beweggründe und Hoffnungen der ehemaligen Eisprinzessinen, zwei Prinzen sind auch dabei. Die Kamera zeigt die Realität zwischen vergangener, aber immer noch auflebender Grazie trotz der Gebrechlichkeit des Alters. In jungen Jahren tanzten sie in alten Schlittschuhen, jetzt im Alter schmerzen die Füße in den neuen. Die Sprünge sind eher Hopser und die Schrittfolge wird selbst beim Spazierengehen noch geübt, um sie nicht zu vergessen. Immer wieder fokussiert die Kamera auf Schiedsrichterin Sissy Klick. Sie musste wegen einer Verletzung frühzeitig ihre Karriere beenden und wegen der Alterssperre mit 70 Jahren ihre heiß geliebte Arbeit als Preisrichterin aufgeben. Nur die Weltmeisterschaft der Hobbyläufer blieb ihr. Voller Respekt beobachtet sie die TeilnehmerInnen. Sie freut sich über jeden gelungenen Schritt und blickt besorgt bei Stürzen.
Roland strahlt über seinen Sieg ohne Konkurrenz. Linda ist enttäuscht auf dem Gruppenbild nicht auf dem Treppchen zu stehen. Für Schiedsrichterin ist die Weltmeisterschaft der Hobbyläuferinnen das Highlight des Jahres. Alexander Seils Dokumentation berührt, weil sie über den sportlichen Ehrgeiz den Blick den wackeren Kampf gegen das Alter eröffnet und alle EisläuferInnen mit großen Respekt und Empathie in Szene setzt, wobei so mancher Kostümkitsch und ungelenke Beweglichkeit den individuellen Charme dieser „Old aged“ liebenswürdig unterstreicht.
Künstlerisches Leitung: Alexandra Seil (Drehbuch, Regie), Rainer Oleak (Musik), Martin Farkas, Sophie Krabbe (Kamera), Sven Kulik, Rune Schweitzer (Schnitt)
Mit: Elena Rickmann, Sissy Krick, Roland Suckale, Toos van Urk, Nadia Colbourne, Linda Bernard, David Marzell u. a.