Muriel betreibt eine Pferdezucht. Als ihr Enkel Alex sie besucht, den sie groß gezogen hat, gerät das Gefüge in Schräglage. Alex’ Ziel ist nicht, wie er vorgibt, ein längerer Aufenthalt in Kanada, sondern eine Reise über Istanbul in den Orient, um sich Dschihad-Kämpfer ausbilden zu lassen.
Ganz subtil und langsam enthüllt Regisseur André Technik die bereits sehr weit fortgeschrittene Radikalisierung von Alex. In seinen Gedanken überlagern sich Erinnerungen und Visionen die Gegenwart. Zunächst scheint er nur in ein moslemisches Mädchen verliebt zu sein. Doch längst ist die Entscheidung für die Dschihad gefallen.
Was können Betroffene tun, um in derartigen Situationen zu helfen? Das ist das Anliegen des Films. Die Antwort ist vernichtend. „Nichts!“. Selbst der ehemalige Dschihadist, den Muriel zur Unterstützung holt, durch Fussfessel noch polizeilich überwacht, kann Alex nicht aufhalten. Muriel gibt nicht auf, doch die Konsequenzen ihres Handelns stürzen sie in eine tiefe Depression. Sie verstummt, Ihr Blick geht ins Leere, obwohl die Kirschernte das pralle Lebensfreude signalisieren.
Geerdet durch ihre Lebenserfahrungen und ihr Alter, nicht zuletzt durch ihre unsentimentale Art Rollen darzustellen, spielt Catherine Deneuve diese Muriel sehr überzeugend und realistisch, ohne viel zu reden, aber genau beobachtend anfangs sehr klar und resolut.
©Curiosa, Adieu à la nuit 2019
Sie kümmert sich um die Pferde, legt Zäune an. Sie geht nachts mit der Flinte noch spazieren und weiß Aug in Aug nachts einem fulminanten Wildschwein furchtlos gegenüber zu stehen. Berührend, sehr subtil zeigt Catherine Deneuve allein durch ihre Haltung und ihre Blicke, wie diese starke Frau unter Last des Schicksals fast verbricht. Und doch entlässt der Film den Zuschauer mit einer kleinen Hoffnung, um zu zeigen, dass sich zu engagieren, zuweilen ganz unerwartete Früchte bringt.
Michaela Schabel