„Trotzdem“ – ein literarisches Gespräch zwischen Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge

"Trotzdem" von Schirach und Kluge präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Michael Mann

Das literarische Gespräch ist kein wirklicher Diskurs, mehr ein gegenseitiges Ballzuwerfen und In-Frage-stellen, um Gedanken aus dem Trotzdem zu entwickeln. Schließlich erkannte schon Aschenbrenner in Thomas Manns „Der Tod in Venedig“, dass alles Große aus dem Trotzdem entstanden ist. Die Pest in Florenz ermöglichte Boccaccios erzählerische Leichtigkeit, das Erdbeben in Lissabon die Aufklärung. Was ermöglicht die Pandemie?

©Verlag Luchterhand

Schirach und Kluge argumentieren intellektuell präzise, Schirach als Jurist, sehr belesen, Kluge ebenfalls Jurist, darüber hinaus renommierter Filmemacher, Drehbuchautor und Schriftsteller. Es ist die Verknüpfung historischer Fakten und der Ideen großer Denker, die „Trotzdem“ zu einer interessanten Lektüre verdichten, minimal aufgelockert durch persönliche Erfahrungen in Zeiten des Lockdowns. Für Schirach war er nicht so schlimm, weil er „Distanz ganz gerne mag“. Nur die Cafés und Restaurants fehlten ihm. Für Kluge entstand eine „Fern-Nähe eigener  Art“ durch die gehäufte mediale Kommunikation.  

Ob die Pandemie mit ihren „scheußlichen“ Wörtern wie Herdenimmunität und Durchseuchung als gesellschaftlicher Shutdown mit einem Shutdown der Menschenrechte einhergeht, das gilt es zu hinterfragen. Angesichts der Pandemie bleibt Politikern durch das Dilemma der Wissenschaft Fakten und Schutzmaßnahmen erst zu erforschen ohnehin nur die Methode von Versuch und Irrtum.

Der Diskurs der beiden Autoren reicht weit zurück in die Geschichte der Grundrechte bis zum Streit zwischen Papst Gregor VII. und Heinrich dem IV., der schließlich im Gang von Canossa endete. Aus dieser kaiserlichen Schmach entstand Schritt für Schritt durch die Trennung von staatlicher und weltlicher Macht ein neues Staatsverständnis.

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©Archiv Kairofilm

Das Gespräch nimmt vor allem Bezug zu Hobbes „Leviathan“, als Bild des Staates als Souverän, der, vom Volk gewählt, keinen Gott mehr braucht und durch ein Vertragswerk eingebunden für das Wohl seiner Bürger sorgt, was dennoch, wie der Nationalsozialismus zeigt, ins Gegenteil pervertiert werden kann. In Zeiten der Pandemie wird der Ruf nach der Staatsgewalt größer. Sicherheit gilt  mehr als Freiheit. „China darf niemals unser Vorbild werden“, konstatiert Ferdinand von Schirach.

In seinem finalen Plädoyer verweist auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen systemrelevanter Berufe im Gesundheitswesen, die Rückbesinnung auf nationale Produktion von Medikamenten bis hin zu einer europäischen Verfassung, die die Zusammenarbeit auch in schlechten Tagen sichern soll. „Wir können heute über unsere Gesellschaft entscheiden – nicht wie sie ist, sondern wie wir sie uns wünschen.“

Das ist sehr idealistisch gedacht. Die Realität ist gerade dabei, die Chancen des Trotzdem zu verwirken.