©Insel Taschenbuch, 2022
Wie fotografische Impressionen schreibt Sébastien Jondeau mehr seine eigene als Karl Lagerfelds Biografie, die bereits Alfons Kaiser 2020, ein Jahr nach Karl Lagerfelds Tod auf den Markt brachte.
In Rückblenden rollt Sébastien Jondeau seinen sozialen Aufstieg an der Seite seines großzügigen Mäzens auf, den er als einziger in allen Phasen seines Krebsleidens bis in den Tod begleitete. Sébastien Jondeau ist ein Draufgänger, der genau weiß, was er will, im richtigen Augenblick die richtige Entscheidung trifft und bei Autorennen, als Surfer und Boxer, ständig den Adrenalinkick durch schnelles Reagieren in riskanten Situationen sucht. In 20-jähriger Zusammenarbeit entwickelt Sébastian Jondeau „zärtliche Gefühle“ wie ein Sohn sie seinem geschätzten Vater gegenüber hat und bekennt „Karl war mein Gral.“ Er lernte von ihm die Bedeutung von Büchern, begann zu lesen, doch die Erinnerungen kreisen nicht um Bildung, sondern in erster Linie um Luxusgeschenke, Feiern und Sport.
Das Schreiben ist für Sébastien Jondeau eine Form der Trauerarbeit, in kurzen Kapiteln eine Hommage an Lagerfeld, dessen Großzügigkeit, Respekt und Empathie ungeachtet der sozialen Zugehörigkeit gegenüber anderen Menschen. Es waren die kleinen Dinge, die ihn mit Lagerfeld verbanden und sein Leben an Lagerfelds Seite fühlte sich an wie „der Stoff, aus dem Träume sind“, da Lagerfeld sein soziales Umfeld immer am Genuss seines privilegierten Lebens teilnehmen ließ.
Sébastien Jondeau entwickelt sich vom Chauffeur zur rechten Hand Lagerfelds, wird als beliebter Organisator, Moderator und Animateur von Lagerfelds Gästen immer mehr auf gleicher Augenhöhe behandelt und begleitet Lagerfeld auf allen seinen Reisen zwischen Paris, Biarritz, Ramatuelle, New York und anderen Hotspots der Mode. Kritisch sieht Sébastien Jondeau nur die Liebhaber Lagerfelds, Brad, Baptist und der neue „Kronprinz“ Jake, deren kapriziöses und ausbeuterisches Verhalten zu Konkurrenzsituationen führt, wobei ihn Lagerfeld einmal zurecht weist. „Du bist nicht wie sie. Du bist da, um für mich zu arbeiten.“ Zunächst gekränkt, versteht Sébastien Jondeau die Botschaft, nicht Objekt der Verführung, sondern Subjekt auf der Basis eines Vertrages menschlicher Verlässlichkeit zu sein, erst später.
Schon in der Mitte des Buches stirbt Lagerfeld. Für Sébastien Jondeau „haben alle Orte, in denen er aus- und einging keine Seele mehr.“ Er macht die Erfahrung, wer zu ihm steht, wer ihn fallen lässt und lässt noch einmal die Erinnerungen Revue passieren, woraus sich aber kaum neue Perspektiven entwickeln, sondern durch Überschneidungen, Wiederholungen auf reine Aufzählungen von Minicharakterisierungen ergeben von „Echten Brüdern“, „Kindern“ und „Starken Frauen“ eher Langeweile einstellt und das erzählerische Bogen seine Spannung verliert.
©Insel Taschenbuch, 2022
Sébastien Jondeau: „Ça va, cher Karl? Erinnerungen an Karl Lagerfeld“, Insel Verlag, Berlin 2022, 190 S.