Nena Brockhaus, Franca Lehfeldt  „Alte weise Männer“ als Kontrapunkt zu den alten weißen Männern

Buchkritik "Alte weise Männer" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Gräfe und Unzer Verlag, 2023

Die Erkenntnisse aus zehn Interviews mit Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wirtschaft sind allerdings nichts Neues, schon gar nicht vor dem sozial-politischen Hintergrund. Die Konzeption der Interviews, teilweise auch bestimmte Fragen folgen einem ähnlichen Schema mit Einleitungstext, Zwischenzusammenfassungen, inhaltlichen Erläuterungen und einem Resümee, jeweils in Kursivdruck, wobei die sehr ähnlichen Aussagen schnell verschwimmen.

Mit Schauspieler Mario Adorf zu beginnen gibt dem Buch von Anfang eine etwas anbiedernde Trendigkeit, zumal Mario Adorfs Vita medial schon wiederholt dargestellt wurde und man seine Antworten und Grundsätze kennt. Für das Bewusstsein, dass Bildung ein Privileg ist, muss man auch nicht unbedingt alt sein und Mario Adorfs Empathie für Menschen, denen es wie in der Ukraine nicht so gut geht, haben auch sehr viele andere Menschen in unserem Land. Doch schon bei diesem ersten Interview kommt das zentrale Thema der Work-Life-Balance auf den Tisch, womit die Freizeit als Gegensatz zur Arbeit in den Vordergrund rückt, dem Übel unserer „faulen Gesellschaft“ wie es der einstige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust knallhart formuliert. Immer mehr Menschen fordern staatliche Unterstützung von Klein auf bis ins hohe Alter, ohne selbst Leistung zu bringen.

Selbst Schauspieler Heiner Lauterbach, nichts bereuender Lebemann wie aus dem Bilderbuch und damit Medienliebling, weil er immer Auflage brachte, verweist auf die Leistung der alten weisen Männer, die den Lebensstandard erarbeitet haben, von dem wir heute noch profitieren. Sein Erfolgsrezept, für die Sache, die man tut, zu brennen, verbindet ihn mit allen anderen Interviewpartnern. 

Ob Wirtschaftsmanager Wolfgang Reitzle, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul oder der ehemalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, sie alle waren und sind immer noch extrem leistungsorientiert. Arbeit ist für wie ein Flow, der endorphinisiert. Konzentriertes Arbeiten an einer Sache, nicht am persönlichen Image, Wahrhaftigkeit, sich im Spiegel ansehen zu können, brachte ihnen das Glück der Zufriedenheit. Verzicht und Niederlagen wurden zu Chancen zur Verbesserung der Qualität. Das sind Eigenschaften, die viele in unserer ablenkbaren Handygesellschaft nicht mehr kennen. „Fordern und Fördern“ müsste wieder viel stärker in das gesellschaftliche Bewusstsein rücken. 

Thomas Strüngmann, Pharmainvestor, mit seinem Zwillingsbruder reichster Mann in Deutschland, sieht Erfolg und Glück in einem selbstbestimmten Leben. Das wiederum setzt Leistung voraus und die Kunst, im Sinne des asiatischen Philosophen Tagore die Dinge so bewerten, dass man ihnen Freude beimisst. Für Thomas Strüngmann sind die menschlichen Begegnungen, neuen Erfahrungen auch durch Reisen und kreatives Handeln viel wichtiger als materielle Güter. 

Von Journalist Heiner Bremer könnte man den Mut zur Geradlinigkeit und zum Klartext lernen. Seine Maxime „Was immer man tut, handle klug und bedenke das Ende“, ein Zitat Herodots, hat nichts von ihrer Bedeutung verloren, ebenso wie die Bodenhaftung durch die Familie, wofür Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber ein Paradebeispiel ist. 

Interessanter als die Vorbildwirkung dieser charismatischen Persönlichkeiten ist ihre Einschätzung der deutschen Gesellschaft. Das letzte Interview Franca Lehfeldts mit ihrem Vater bringt es auf den Punkt. Wäre er jung würde er keine Kinder mehr in diese Welt setzen. Die Antworten sind naheliegend. Deutschland hat sich seine Probleme selbst geschaffen. Es fehlt an Leistungsbereitschaft und Kreativität, an der Lust zu arbeiten. Statt Arbeit als beglückendes Lebenselement rückt immer mehr die Freizeitorientierung in den Vordergrund. Deutschland könne aber den „anstrengungslosen Wohlstand“ nicht mehr lange durchhalten. Ein Land ohne nennenswerte Rohstoffe braucht leistungsorientierte und kreative Menschen.

Die alten weisen Männer haben schon Recht mit ihrem Anspruch „Fördern und Fordern“, für eine Sache brennen statt Quote, nicht zuletzt mit ihrer Ablehnung des Genderns als Sache einer Minderheit, die der Mehrheit undemokratisch übergestülpt wird. 

Leicht zu lesen, sind „Alte weise Männer“ zwar nicht viel mehr als eine leichte Unterhaltungsliteratur mit beliebig ausgewählten Persönlichkeiten. Das Buch stößt aber im Hinblick auf die #MeToo-Bewegung und die postkoloniale hochstilisierte Aufarbeitung der alten weißen Männer doch einen wichtigen konträren Bewusstseinsprozess an. 

Nena Brockhaus, Franca Lehfeldt „Alte weise Männer“, Gräfe und Unzer Verlag, München 2023, 271 S.