"Kultur macht glücklich"


Julia Haart „UN-VERHÜLLt“. Mein Weg von der ultraorthodoxen Jüdin zur erfolgreichen Modedesignerin

Veröffentlicht am:

von

Julia Haart „UN-VERHÜLLt“. Mein Weg von der ultraorthodoxen Jüdin zur erfolgreichen Modedesignerin

©Droemer-Knaur Verlag, 2022

„Sie werden es nicht glauben“, spricht Julia Haart die LeserInnen immer wieder an. Was sie über das ultraorthodoxe Judentum und den American Dream erzählt, ist ein Spagat zwischen 18. und 21. Jahrhundert. Den zweiten Teil ihrer Biografie vermarktete sie inzwischen als Netflix-Serie „My Unorthodox Life“, die sie auch noch als Filmstar berühmt machte, die aber allerdings „durchgehend oberflächlich, nicht allzu glaubwürdig und leider nur sporadisch unterhaltsam“ beurteilt wurde, zumal der Prozess der Distanzierung vom orthodoxen Judentum ausgeklammert wird und sie „zur sakulären Variante der jiddischen Übermutter, die ihre Familie kontrolliert“, so die „Jüdische Allgemeine“. In ihrer Monografie zeigt Julia Haart ihre Beweggründe dagegen sehr offen.

Verhüllt war die erste Hälfte ihres Leben, unverhüllt beginnt der zweite Teil, in dem sie das Korsett ihr unglaublich konservativen und frauenfeindlichen Erziehung ablegt. Julia Haart wurde in Russland geboren. Ihre Eltern wanderten in die USA aus und schlossen sich den ultraorthodoxen Heimish Yeshivish an. Schon die Mutter trichterte ihr als kleines Mädchen ein, sich so zu verhüllen, dass weder Schlüsselbein noch Ellbogen, Knie oder Fußknöchel zu sehen waren. Mädchen dürfen nicht sich sichtbar sein, um Männer nicht sexuell zu reizen. Mädchen dürfen kein männliches Wesen anschauen, geschweige denn berühren, haben in deren Gegenwart zu schweigen, dürfen nicht studieren, weil sie ohnehin mit spätestens 20 Jahren verheiratet werden und dann in ihrer Mutteraufgabe aufzugehen haben und möglichst jedes Jahr schwanger werden sollen, ganz zu schweigen von den komplizierten Reinigungsritualen nach der Menstruation, mit denen sie ein Leben lang gequält werden, und dem Stress koscher zu kochen. Frauen haben die ganze Verantwortung für den Alltag zu tragen, damit der Ehemann die Tora studieren kann. Frauen richten die zahlreichen Feste mit großen Einladungen aus, die Männer feiern. 

Erst nach vier Kindern und sechs Fehlgeburten, wagt Julia Haart mit 42 Jahren eigene Wege, um ihren Kindern diese religiöse Gehirnwäsche zu ersparen. „Ich bin nicht bereit eine Religion zu respektieren, die mich nicht respektiert“.  

Frei zu werden, ist ihr großes Ziel und sie nutzt ihr Talent Dinge schön zu gestalten. Sie will Frauen schön, frei und selbstbewusst machen. Sie beginnt extravagante Schuhe zu designen, die außerdem sehr bequem zu tragen sind.  Das neue Leben in der Außenwelt fordert ihr eine Achterbahn zwischen Erfolg und Abgrund ab. Völlig lebensunerfahren, naiv wie ein Kind, gewohnt, dass ein Handschlag für geschäftliche Vereinbarungen genügt, wird sie ständig ausgenützt und balanciert schließlich am finanziellen Abgrund entlang. Doch Julia Haart ist extrem zäh und lernt schnell.„Erfolg oder Tod“ wird ihre Devise und mit Hilfe vermögender Juden, die ihr in finanziellen Nöten beistehen, gelingt ihr der große Durchbruch. Sie wird tatsächlich selbstständige Schuhdesignerin, wenig später Creative Director von La Perla CEO und später, im Buch nicht mehr erwähnt, CEO von Elite World Group, der Dachorganisation international führender Model-Agenturen.

Von der Welt der Superreichen ist sie zwar geblendet und fasziniert, aber sie durchschaut schnell deren Oberflächlichkeit. Auch in dieser Welt irritiert sie immer wieder die Dominanz der Männer. Lieber lebt sie allein, als diese respektlosen Unterdrückungsmechanismen zu ertragen. Nach dieser Wiedergeburt in einer ganz anderen Welt fühlt sich Julia Haart mehr denn je Gott verbunden. Aber sie lässt sich nichts mehr überstülpen. Freiheit ist ihr Mantra. Ihre Geschichte ist allerdings derart extrem, dass man zuweilen an der Echtheit zweifelt. Sehr spannend geschrieben, bieten die 500 Seiten, vor allem im ersten Teil sehr interessante Einblicke.

 

Buchrezension von Julia Haarts "UN-VERHÜLLT" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Droemer-Knaur Verlag, 2022

Julia Haart „UN-VERHÜLLT. Mein Weg von der ultraorthodoxen Jüdin zur erfolgreichen Modedesignerin, Droemer-Knaur Verlag, München 2022, 510 S.