©Herder Verlag, 2024
Putin vergiftet nicht nur seine politischen Widersacher, sondern auch das west-östliche Verhältnis, so das Resümee des Autorenpaares Gesine Dornblüth und Thomas Franke. Beide lebten fünf Jahre in Moskau. Sie recherchierten Putins „russischen Traum“ von der Wiedervereinigung der ehemaligen Sowjetrepubliken. Viele Argumentationen kennt der politisch interessierte Leser und doch überraschen immer wieder neue Details…
Der Ukraine-Krieg ist nur die Spitze des Eisberges von Putins Politik, die mit langem Atem Schritt für Schritt die ehemaligen Sowjetrepubliken wieder einsammeln will, um Russland als Großmacht zu stärken. „Das russische Gift zersetzt Gesellschaften, in dem es vorhandene Schwachstellen nutzt und Gräben vertieft.“
Im Mittelpunkt von „Putins Gift“ stehen nicht die militärischen Aktionen, sondern Putins raffinierte, Angst schürende Manipulationsmechanismen, wie Menschen damit umgehen und mit welchen Repressalien kritische Stimmen konfrontiert werden.
In 13 Kapiteln offeriert sich der Terror nicht nur durch Vergiftung des Körpers, sondern vor allem durch die Vergiftung des Intellekts infolge geistiger Manipulation, ökonomischer Abhängigkeiten und Korruption. Vieles wirkt zwar arg subjektiv, da das Autorenpaar über Schilderungen, Beobachtungen, Begegnungen, Interviews wie bei Reportagen atmosphärisch und emotionalisierend in die einzelnen Problemsituationen einsteigt, doch hinter der Erzählebene wird die Rigidität von Putins Politik sehr deutlich.
Versteckt hinter den Bildungsangeboten der „Russischen Häuser“ betreibt Putin in 62 Ländern Propaganda für die russische Kultur. Es werden Beziehungen zu westlichen Intellektuellen aufgebaut. Man lädt zu Reisen nach Russland ein, um das soziale Netz von Russlandfreunden international zu intensivieren und Freunde zu finden, die helfen im Ausland russische Interessen durchzusetzen.
Geschickt nutzt Putin internationale Gesellschaften der ultrareligiösen Rechten beispielsweise über den „Weltkongress der Familien“, um seine imperialen Ziele durch traditionelle Tugenden, wie sie die griechisch-orthodoxe Kirche vermittelt, zu verbrämen.
Deutsche Zeitungen wie „Spiegel“ oder „Frankfurter Allgemeine“ werden online genau nachgestellt, um durch falsche Informationen Angst, Ekel, Hass zu verbreiten und zu verunsichern. Ganz bewusst reißt man dabei Inhalte aus dem Kontext, um neue prorussische Narrative zu generieren. Durch Links und Anzeigen in den sozialen Medien, die zu diesen „Doppelgängerseiten“ führen, wirken derartige Desinformationen in der Breite.
Putins mediale Täuschungsmanöver mit Unterstützung von westlichen Journalisten und Verschwörungsanhängern werden benannt wie der US-amerikanische Fox-News-Moderator Tucker Carlson oder Hubert Seipel vom Norddeutschen Rundfunk, der durch die ungewöhnliche Putinnähe in seinen Interviews und Filmen gehypt wurde, ohne dass man dies hinterfragte, möglich durch immens hohe „Honorare“ seitens Putins.
Und immer noch gilt unter Putin wie in zaristischen Zeiten die Russifizierungspolitik, heute über die Ausstellung von Pässen in Kombination mit Putins Berufung auf seine Verantwortung „alle Russen schützen zu müssen“. Subversiv bietet er den Menschen in den Anrainerstaaten an „neue Russen“ zu werden und sät so in demokratisch orientierten Regierungen wie in Georgien Zwietracht, wo inzwischen durch Putins Hilfe die abgespalteten prorussischen Gebiete der Südosseten und Abchasen bereits ein Fünftel der georgischen Staatsfläche ausmachen. In besetzten Regionen wie der Krim und im Donbas werden russischer Pass und die russische Sprache zur Pflicht. Wer sich weigert, muss mit Repressalien rechnen, mutiert zum Bürger zweiter Wahl ohne Aufstiegschancen. Außenpolitisch schützt Putin die „neuen Russen“ vor Problemen, die er allerdings selbst verursacht hat. Das ist nichts anders als eine perfide Kolonialisierung. Wenn dagegen Lettland mit kleiner Bevölkerung vom großen russischem Anteil von 30 Prozent die Bereitschaft fordert, über einen Einbürgerungstest und die lettische Sprache ihren Integrationswillen zu bezeugen, wird dieses Vorgehen von der russischen Seite als „verbrecherisch“ bewertet.
Ist ein Nachbarland auf EU-Kurs reagiert Putins sofort mit ökonomischen Repressalien durch Gaspreiserhöhungen, Reduzierung der Einfuhrquoten, Schutzzölle, dem Fernbleiben von Touristen oder wie im Fall Moldau auch mit Bankenskandalen. Putin geht es nie um die Menschen, sondern nur um seine Machtausdehnung. Die seit 1992 von Moldau abgespaltene unabhängige prorussische Region Transnistrien wurde bislang selbst von Putin nicht als unabhängiger Staat anerkannt, um den Zugriff auf Moldau zu behalten.
„Putins Gift“ wirkt auch ohne Krieg. Die inzwischen prorussische Regierungspartei „Der georgische Traum“, einst eine EU-orientierte Bürgerbewegung hat sich längst in eine prorussische Regierungspartei verwandelt, die geschickt Georgiens EU-Anwartschaft verhinderte. EU-Befürworter werden als „Vaterlandsmörder“ und Agenten des Westens diskreditiert.
Putins Strategien sind langfristig. Er weiß sich durchzusetzen. Sein Kampf gilt wie im Kalten Krieg der westlichen Demokratie. Dornblüth und Franke verweisen auf die Waffen der Demokratie. Das sind „Wissen, klarer Blick auf den, der die Demokratie zerstören möchte, und das Einstehen für Werte und Wahrheit“. Ein lesenswertes Buch zum Thema Putin.
Gesine Dornblüth, Thomas Franke „Putins Gift. Russlands Angriff auf Europas Freiheit“, Herder Verlag, Freiburg, 2024, 221 S.
Gesine Dornblüth(*1969) ist promovierte Slawistin und Hörfunkjournalistin. Von 2012 bis 2017 war sie Deutschlandfunk-Korrespondentin in Moskau. Seit Beginn der 1990er Jahre hat sie zahlreiche Recherchereisen nach Russland und in den gesamten ehemaligen sowjetischen Raum unternommen. Zuletzt erschien von ihr „Jenseits von Putin: Russlands toxische Gesellschaft““ ebenfalls mit Ko-Autor Thomas Franke.
Thomas Franke (*geb 1967) ist Journalist, Autor, Regisseur und Produzent. Von 2012 bis 2017 lebte er in Moskau. Zuletzt erschien von ihm der Erzählband „An den Kaukasus gekettet“.