München – „Joan Jonas“ – eine Retrospektive im Haus der Kunst

Ausstellung "Joan Jones" im Haus der Kunst München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Ausstellung „Joan Jonas“ (Hauptraum)©HDK, Foto: Michaela Schabel

„Ich denke, es ist notwendig, an die Grenzen zu gehen. Was mir Angst macht, zieht mich an“, bekennt Joan Jonas. Ihre Arbeiten wirken auf den ersten Blick extrem rätselhaft und erschließen oft erst durch die Informationstafeln ihren sozial-kritischen Kontext, ihre wissenschaftliche Neugier und die damit verbundenen künstlerischen Techniken und Zielsetzungen. Zu sehen sind wie bei großen Retrospektiven üblich die historischen Schlüsselwerke, die Wendepunkte in Joan Jonas‘ Schaffen angefangen von Installationen über Spiegelungen und Performances zu medialen Transformationen und multimedialer Vielschichtigkeit über die Grenzen der Kunst hinaus. Dabei macht Joan Jonas die großen Themen dieser Zeit, rituelle Gemeinschaften, Feminismus, neue Kunstformen und ökologische Problematiken auf ihre ganz individuelle Weise in synergetischen Zyklen sichtbar. 

Beginnt man in den Nebenräumen erschließt sich Joan Jonas‘ künstlerischer Weg in chronologischer Reihenfolge, aber man braucht viel Zeit, wenn man die atmosphärischen Transformationswelten intellektuell erfassen will und Nervenstärke die zahlreichen Transformationen via Video auf sich einwirken zu lassen, zumal sich die Sounds überschneiden, die narrativen Elemente unverständlich bleiben und mitgelesen werden müssen. 

Der Weg beginnt bei Bühneninstallationen aus den 1970er Jahren als Basis für theatrale Performances, die sie in Videos künstlerisch zelebriert, in teilweise faszinierende Narrative transformiert, in denen alte Mythen, aber auch die Folgen des desaströsen Umgangs mit der Natur und die künstlerische Transformationsdynamik durch das Zeichnen aufleuchten. Diese Zeichnungen geben den einzelnen Ausstellungsräumen eine beschwingte und beruhigende Leichtigkeit. 

Die „Stage Sets“, abgehängte Papierwände, extrem schlanke hohe Kegelformen und Stühle sind in Joan Jonas’ Arbeiten sehr wichtig.

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„Stage Sets“ Joan Jonas©HDK, Foto: Michaela Schabel

Sie überführen zeitbegrenzte Aufführungen zu performativen Ausstellungsformen durch Überlagerung von verschiedenen Videos, wodurch sich vielschichtige Ebenen  und mitunter durch harte Schnitte narrative Kapitel der erzählten Texte eröffnen. 

In „Glass Puzzle II“ (1974/2000) zeigt sie nicht nur das Phänomen von gespiegelten Doppelungen. Inspiriert von den Sex-Arbeiterinnen im Rotlicht-Milieu von New Orleans im 19. Jahrhundert werden hier archetypische weibliche Verhaltensweisen von einst und heute gespiegelt. 

Mit „Juniper Tree“ (1976/1994) entwickelt Joan Jonas zum ersten Mal ein Werk aus einer lang tradierten kollektiven Erzählung. „In Lines of Sand“ (2002) baut sie eine Brücke von den Mythen in die gesellschaftlichen Entwicklungen von heute. Jahrelang setzte sie sich mit den Ökosystemen unterschiedlicher Lebewesen und den dabei entstandenen Mythen auseinander. Durch Überlagerung von wissenschaftlichen und selbst gedrehten Videos kombiniert mit Zeichnungen oder Schattenspielen und gesprochenen Passagen aus literarischen Texten leben Mythen auf,  „alle Geschichten, einschließlich der Geschichte der Welt“, so Joan Jonas.

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„Stream or River, Flight or Pattern“©the artist and Barbara Gladstone Gallery VG Bild Kunst 2021

Wenn sie „My New Theatre“ (1997-2006) in Performances in kleinen Guckkastenbühnen präsentiert, gewinnt die hippelige Nervosität dargestellten Zeitgeistes durch die Distanz von Raum, Rahmung und mediale Vermittlung zuweilen eine ironische Verfremdung. 

Diese distanzierte Haltung verwandelt sich in den ganz großformatigen Projektionen im Hauptraum in eine weitgreifende Melancholie. Fokussierend auf die Zeitlosigkeit polarer Ebenen intensiviert sich verzerrt der Tanz von Menschenpaaren durch einen Schneesturm. Das gegenseitige Festhalten wird zur Überlebensstrategie. 

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©HDK, Joan  Jonas, Photo: Maximilian Geuter, VG Bild Kunst, Bonn 2022

Doch auch die großen Gebirgslandschaften verändern sich, bekommen Risse, wenn die Gletscher verschwinden. „Reanimation“ (2010-13), uraufgeführt auf der documenta 13 zeigt in filmischen Überlagerungen das dominante Verhältnis gewaltiger subpolarer Naturlandschaften in Island und Grönland in Relation zum subtil künstlerischen Prozess des Zeichnens. Erstmals in Europa zu sehen ist im Mittelraum auch ihr jüngstes Werk „Rivers to the Abysal Plain“ (2021), in dem sie sich mit dem Ökosystem Wasser und dem wissenschaftlichen Umgang mit Kunst auseinandersetzt.

Joan Jonas’ mythisch durchwirktes Werk beschäftigt im Nachklang. Nicht alle Rätsel sind so leicht zu entschlüsseln, wie das plakative Video „Wo    lf Lights“ (2004/5) vor dem Eingang zum Haus der Kunst, eine Frau mit dem Wolfskopf als Symbol dominanter Herrschaftsstrukturen. 

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Porträt von Joan Jonas©HDK, Joan  Jonas, Photo: Maximilian Geuter, VG Bild Kunst, Bonn 2022

Joan Jonas wurde 1936 in New York City, USA, geboren und studierte Skulptur und Kunstgeschichte am Mount Holyoke College in Massachusetts. Sie gehörte zu den BegründerInnen der Performance, als diese in den 1960er und 1970er Jahren nach ihrem Studium aufkam. Ihre Arbeiten wurden international ausgestellt. 2015 vertrat sie die USA auf der 56. Biennale in Venedig, 2018 ehrte man sie mit dem Kyoto-Preis. Joan Jonas ist emeritierte Professorin am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. 

Die Ausstellung „Joan Jonas“ wurde von der Künstlerin und dem Haus der Kunst in Kooperation mit der Tate Modern London entwickelt. Sie ist im Münchner Haus der Kunst noch bis 26. Februar 2023 zu sehen.