München – „Die Sonne um Mitternacht schauen“ – Werke der Gegenwartskunst in der Städtischen Galerie im  Lenbachhaus

Ausstellung "Die Sonne um Mitternacht schauen" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Katharina Sieverding©Michaela Schabel

Als Auftakt der Ausstellung zeigt Eva Kot’atová „Stomach Of The World“ die scheinbar harmlosen, doch nicht minder unterdrückenden Manipulationsprozesse durch familiäre, traditionelle und institutionelle Sozialisation und den sich daraus ergebenden Abhängigkeitsprozess von Fressen und Gefressenwerden. 

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„Stomach Of The World“ Eva Kot’átová ©Michaela Schabel

Dazu passt großartig Pristina Kosovos „My Gravity Slipped Away“. Plexiglasscheiben mit fröhlichen Kinderstrichmännchen vor gepixeltem Tapetenmuster verweisen auf leere, unbeschriebene Seiten kindlicher Seelen, die  nur allzu bald mit globalen Mustern befüllt Zukunft eher pessimistisch antizipieren lassen. 

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Pristina Kosovo©Michaela Schabel 

Die  indische Künstlerin Tejal Shah kombiniert in ihren Videos, Fotografien, Performances alte Mythen und moderne Ängste der Selbstbehauptung in berührenden Bildern zwischen eindrucksvoller Dokumentation und poetischer Leichtigkeit.

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Tejal Shah©Michaela Schabel 

Die deutsch-deutsche Entwicklung während des Kalten Krieges wird durch die Kameras von Barbara Klemm für den Westen und von Helga Paris für den Osten in Erinnerung gerufen. Die ausgestellten Fotografien fokussieren genau auf die Augenblicke, in denen Ost-West-Unterschiede deutlich spürbar werden, sich zuweilen aber auch verwischen.

Für das Motto „die Sonne um Mitternacht schauen“ ist Katharina Sieverding u. a. mit einer großflächigen Fotocollage von 1988 vertreten. Ihr Gesicht mit Goldstaub bedeckt wird zur Maske, unter der durch Feuereinfluss ihr reales Gesicht immer wieder sporadisch sichtbar wird, so dass sich Assoziationen ökologischer Krisen und Bewusstseinsbildungen, des ewigen Rhythmus von Licht und Schatten, Leben und Tod anbieten. 

VALIE EXPORTS Video ihres „Tapp- und Tastkino“, bei dem sie ihre Brüste in einem Kasten verhüllt, von Passanten berühren lässt, hat nichts von seinem ironischen Charme verloren. Auch Maria Lassnig stellt ihren eigenen Körper zur Schau. Ein ganzer Saal voller „Körperbewusstseinsmalerei“ einer älteren Frau entwickelt immer noch eine, nicht zuletzt durch die sonnigen Farbstimmungen eine aufbauende Energie.

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Maria Lassnig©Michaela Schabel

Verstörend wirkt zunächst Candice Breitz‘ Video-Toninstallation von 2002. Zehn Monitore in einem abgedunkelten Raum sind auf die Wände ausgerichtet, so dass zunächst nur das Flackern der Bilder, vor allem die Überlagerung der Stimmen als Missklang wahrnehmbar ist, weil jeder Person, eine interkulturelle Mischung, deutsche Sehnsuchtslieder unterlegt wurden. Der Stempel aufoktroyierter Sprache schafft eben noch lange kein Identitätsgefühl, wodurch eine beeindruckende Parabel deplazierter Integrationspolitik entsteht.

Friederike Petzold inszenierte „Die neue leibhaftige Zeichensprache nach den Gesetzen von Anatomie, Geometrie und Kinetik“ schon in den 1970er Jahren entgegen der konventionellen Filmbilder. Mit 10-minütigen Videos entdeckt sie ihren eigenen weiß geschminkten Körper durch extrem langsame Bewegungen, intensive Nähe und  einen stummfilmartigen Wechsel von Schwarz und Weiß ein grafisches Spiel bis zur zeichenhaft ästhetischen  Reduktion und meditativen Stille, Stilelemente, die sie auch für ihre Körperporträts einsetzt.

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©Frederike Petzold

Im Vergleich zu derartig subtilen Arbeiten bleiben  Cindy Shermans inszenierte großformatige Foto-Maskeraden, wenn auch beabsichtigt, arg an der plakativen Oberfläche. 

Sehr gut kuratiert von Eva Huttenlauch und Matthias Mühling sind Werke zu sehen von Monica Bonvicini, Candice Breitz, AA Bronson, VALIE EXPORT, Isa Genzken, Flaka Haliti, Barbara Hammann, Judith Hopf, General Idea, Annette Kelm, Barbara Klemm, Eva Kot’átková, Maria Lassnig, Michaela Melián, Senga Nengudi, Helga Paris, Friederike Pezold, Tejal Shah, Cindy Sherman, Katharina Sieverding, Rosemarie Trockel.

Die Ausstellung „Die Sonne um Mitternacht schauen“  ist bis 1. August zu sehen. Bislang ist eine Ticketreservierung über die Webseite des Lenbachhauses erforderlich.