©Michaela Schabel
Ein Freund brachte Ende 2021 Helmut Wartner auf die Idee nicht nur mit dem Tintenroller zu zeichnen, sondern mit Kohlestiften verschiedener Stärke. Begeistert begann Wartner jeden Tag zu zeichnen, aus dem Gedächtnis zu Hause am Schreibtisch, Porträts vom Bildschirm, Naturmotive vor Ort oder Karikaturen als politische Statements. Das Zeichnen wurde zur Leidenschaft und entwickelte sich…
unter dem Motto „Jeden Tag eine Postkarte“ zu einem gezeichneten Tagebuch. Chronologisch nach Monaten, Wochen und Tagen in vier Laufbändern untereinander in Sichthöhe angeordnet kommen die Postkaren in der intimen Atmosphäre der Landshuter Rochuskapelle bestens zur Wirkung. Die Bilder, die Wartner in seiner Schaffensfreude in den ersten zwei Monaten großzügig verschenkte, sind allerdings nur als Kopien in der Ausstellung präsent, an der Papierfarbe deutlich erkennbar. So entstand 2022 ein einmaliges Tagebuch, das über persönliche Eindrücke hinaus durch Porträts und sozialpolitische Szenen den Zeitgeist einfängt.
Mit sicherem Strich und expressiver Dynamik offeriert sich Wartner als präziser Zeichner. Er präsentiert eine bunte Mischung nach eigenem Gusto, Politiker, Künstler, Sportler, historische Persönlichkeiten, Landschaften, Stadtansichten, Flora und Fauna. Genau datiert, nachdenklich, kritisch oder witzig tituliert lässt er das Jahr 2022 Revue passieren. Ganz unterschiedlich greift er das Kriegsgeschehen in der Ukraine immer wieder auf. Gestik und Haltung der Porträtierten verdeutlichen die Schwere politischer Ratlosigkeit, “mehr Schatten als Licht“ mit ironisch gezeichneten und textlichen Spitzen. Deprimiert stützt Gorbatschow seinen Kopf auf die Hand, sein Gesicht verschattend. Ratlos blickt Wolfgang Schäuble ins Leere. Mit verkniffener Miene ist Markus Söder „not amused“. „Im Westen nichts Neues“ erweitert Wartner mit „Im Westen und Osten nicht“. Dunkle Augen- und Mundhöhlen signalisieren selbst bei Liedersänger Reinhard Mey eine düstere Zeitenwende. Das „Netzwerk des Lebens“ spannt sich über den schwarzen Abgrund und hat große Löcher, durch die man fallen kann. Der Fußball ist zerfleddert und die Erdkugel hat einen Riss. Durch die schreckliche Vision eine Flugobjekts im Fluss ist selbst der tägliche Isargenuss im Sommer gefährdet.
Nur in wenigen Motiven durchbricht Farbe die Schwarz-Weiß-Grau Szenerie, beispielsweise als Blutspur auf Putins Kopf, als leidenschaftlicher Hintergrund bei Tänzer Aleksandr Sakharov frei gezeichnet nach dem Gemälde von Alexeij von Jawlensky oder genussvoll die rote Erdbeere mitten im „Boulespiel“.
Mit Motiven aus Sport, Kunst, Natur und Caféhaus-Situationen bringt Wartner aber auch sehr viele entspannende, atmosphärische und heitere Momente des Alltags mit ein. Durch die Hängung der Zeichnungen ergeben sich immer neue Kontexte. Der Betrachter findet Spiegelungen seiner eigenen Gedanken und wird inspiriert eigene Narrative zu entwickeln.
„Jeden Tag eine Postkarte“ ist zu sehen vom 31.05. – 27.07. im Rathaus Pfarrkirchen, 27.07. – 09.11. in der Galerie Wolfstein-Freyung-Grafenau