"Kultur macht glücklich"


Kassel – „documenta 15“ – eine verpasste Chance

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Kassel – „documenta 15“ – eine verpasste Chance

©Michaela Schabel

Kunst wird auf die Perspektive armer und unfreier Länder eingeengt und die sich daraus ergebenden Produktions- und Vermarktungsstrukturen. „Kurator go home“ prangt an der Wand. Die Künstler wollen alles selbst übernehmen. Aus Not und wegen der politischen Unfreiheit mussten sich KünstlerInnen der indonesischen ruangruppe bei einem Künstler zuhause treffen, wo sie zusammen jeder nach den eigenen Fähigkeiten wirkten, gemeinsam aßen, Probleme diskutierten, den Gewinn aus Verkaufserlösen verteilten, sich und ihr Umfeld weiterentwickelten. In der Rolle die 15. documenta zu kuratieren will dieses Kollektiv „eine global ausgerichtete, kooperative und interdisziplinäre Kunst- und Kulturplattform schaffen“ mit Schwerpunkt auf gemeinschaftlicher Ressourcennutzung nicht nur ökonomisch, sondern auch im Hinblick auf Ideen, Wissen, Programme und Innovationen. 

Derartige Künstlerkollektive sind nichts Neues, wurden beispielsweise vor einigen Monaten im Münchner Lenbachhaus weit über Europa hinaus präsentiert. Für eine Ausstellung wie die documenta mit globalem Anspruch wirkt dieser kollektive aktivistische Ansatz viel zu einseitig, zu monoton und zutiefst ausgrenzend, weil die Kunst aus der anderen Hemisphäre vollkommen fehlt. Die Themen sind für zeitkritische Menschen ohnehin ständig durch Dokumentationen und Diskussionen in unterschiedlichsten medialen Versionen präsent. 

Das Fridericianum, bislang das Kernstück der documenta, präsentiert sich wie eine Schule am Tag der offenen Tür mit moralischen Imperativen plakatiert. Es spiegelt sozusagen die Metaebene dieser documenta. im Lichtschacht hängen die neuen Botschaften wie „But stop nomorewunderland“. Musik- oder Werkstunde? Die BesucherInnen relaxen unter einem afrikanischen Klangschirm oder können aus alten Möbelteilen neue Designstücke kreieren oder Plastiktürme bauen. 

"documenta 15" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Michaela Schabel 

Allein die Bilderstrecken in den Rotunden sind interessant. Wandteppiche zeigen das alltägliche Leben der Roma, um ihre Kultur in den Mittelpunkt zu rücken und Richard Bell, als Aborigine geboren, hinterfragt auf seinen grellbunten Bildern, was einen Mann nun eigentlich ausmacht. 

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©Michaela Schabel

Parterre bleibt „RunKids“, der Tummelplatz für den Nachwuchs leer. Keine Kids in Sicht. Und die plakative Forderung „Wir wollen Land, keine Handouts“ verpufft mangels Interesse. Auch die Aboriginal Embassy winzig klein auf dem Riesenplatz vor dem Fridericianum ist größtenteils verwaist. 

Dass kollektive Konzeption zum Kunsterlebnis wird, beweist das Kollektiv aus Kenia in der documenta Halle mit künstlerischen Metaphern aggressiven Lebensumfeldes. Ein Mensch ist zur Vogelskulptur abgemagert, ein anderer hängt leblos in einem Fangnetz. Eine Minihütte ist mit einem Steildach aus Messern geschützt. Fische sind ölig schwarz, haben keine Flossen mehr, nur noch Schrauben. Das hat Kraft und berührt, entwickelt durch die düsteren Farben und Materialien durch güldene Lichteffekte eine haptisch zu fühlende Widerstandskraft. 

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Das gelingt in den drei kubanischen Räumen nicht so gut, weil eben nur dokumentarisches Material aneinandergereiht wird, Videos über Monitore einstige Unruhen und ein Raum voller Latten mit Fotoporträts aus Plastiktüten Systemopfer sehr nüchtern in Erinnerung rufen.

Die kollektive Kunst des Bildermalens funktioniert besser im indischen Kollektiv. 15 Maler wirkten bei dem hallenfüllend epochalen Wandfresko über die Facetten der indischen Gesellschaft mit. 

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Traditionelle Bauweisen und „Animal Spirits“ sind die Themen im Ottoneum. Eine nachgebaute Salzhöhle versetzt in archaische Zeiten der Höhlenmalerei und Salzbildung. Ein Essayfilm parodiert herrlich die Schieflage vom geschützten Wolf und einem ungeschützten Hirten, der sich der ständigen Vermarktungsformen mit übergehängtem Wolfsfell erwehren muss, was  optisch und rhetorisch, filmtechnisch effektvoll verpackt, bestens gelingt. Immer wieder führen die dunklen Gänge durch dunkle Vorhänge zu Filmsequenzen. Sie sind omnipräsent. Spätestens nach der dritten Sequenz ist man ausgelaugt.

Man muss nicht nach Kassel fahren, um in einer Hütte aus Plastiksäcken mit Altkleidern die Vermarktungs- und Ausbeutungssysteme durchzudeklinieren. Oder doch? Angesichts des Prunkschlosses im Hintergrund könnte die gesellschaftliche Diskrepanz nicht größer sein. Das fühlt sich live bedrückender an als auf einer Fotografie.

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Doch insgesamt präsentiert die 15. documenta mehr Schatten als Licht unseres Weltgeschehens. Die wohltuende Symbiose von Kunst und Natur, wie sie der Blick durch den berühmten documenta-Rahmen auf die Bäume hinunter zum Schloss eröffnet, bleibt gleichwohl ein Ausnahmeerlebnis. 

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