©Glasmuseum Frauenau, Sven Bauer
Die Installation besteht aus drei Teilen, die kontrastreich ineinandergreifen und mit den Mitteln der Kunst den „tipping point“ umso facettenreicher erleben lassen.
Von außen wie im Innern der begehbaren Skulptur sieht man sich mit komplexen Strukturen konfrontiert, die weniger futuristisch als bewusst fragil und fragmentiert konstruiert wurden.
©Glasmuseum Frauenau, Sven Bauer
Der Blick nach oben trifft auf eine Glaslunge und einen Glasmagen, den lebensnotwendigen Organen des Atmens und der Nahrungsaufnahme, wodurch die komplexen Prozesse des Wachsens erst möglich werden. Doch beide Organe vergoldet, von Mammon kann man ergänzen, sind imgrunde nicht mehr funktionsfähig. Und ob die weichen fleischfarbenen Wucherungen, unschwer als Adern und weitere Organe erkennbar, die von der Holzkonstruktion zu einer Sitzecke führen, dieses altes System noch retten können, ist die große Frage, die sich dem Besucher stellt
©Glasmuseum Frauenau
Damit gelingt Simone Fezer eine großartige Metapher, in der sie mit den Mitteln der Kunst durch Material- und Strukturveränderungen sozioökologische Bedrohungen bewusst macht.
Wie balsamisch schön die Natur ist und was ihr vom Menschen angetan wird erlebt der Besuchern im dritten Teil der Installation entlang einer Projektionswand durchsetzt mit kleinen Fenstern, anhand von früheren Foto- und Videoarbeiten, die die Künstlerin in der freien Natur aufgenommen hat. Bei Spaziergängen spiegeln sich in den gläsernen Umhüllungen unterschiedlicher Körperteilen die Details, die in ihrem Blickfeld liegen, eben nicht nur Naturidylle, sondern auch hässliche Hinterlassenschaften der Zivilisation in der Natur, wodurch Simone Fezer die verhängnisvolle Wechselwirkung von Technik, Zivilisation und Natur noch einmal verstärkt.
Vieles gibt es in dieser Ausstellung zu entdecken und alles macht sehr nachdenklich.
Simone Fezer ist in Frauenau keine Unbekannte mehr. Als Teilnehmerin später als Dozentin machte sich im bei den Künstler-Workshops im „Bild-Werk“ einen Namen. Beim Wettbewerb für die den „Gläsernen Garten“ ließ bereits ihre großformatige Skizze keinen Zweifel mehr daran, dass ihre „Lebensadern“ (2010) Teil der Dauerausstellung sein sollten. Ihr „Dancing Shiva“ wurde für das Glasmuseum angekauft. Zwischen Simon Fezers Installationen „Hommage an Erwin“, gemeint ist Glaskünstler Erwin Eisch, im Nebenraum zu sehen, und der jetzigen Ausstellung „Tipping Point“ liegen genau 50 Jahre.
In dieser Zeit hat sich Simone Fezer vom Glasobjekt zur Performance in Glas entwickelt. Seit 2012 lehrt sie an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Für ihre außergewöhnlichen Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
„tipping point“ entstand zusammen mit der Video- und Klangkünstlerin Ele Runge für das „Glass, Meet the Future Film Festival 2021“ und ist jetzt im Glasmuseum Frauenau zu sehen ist. Simone Frezer arbeitet nachhaltig. Sie verwendet Ressourcen vor Ort und alte Materialien, aus denen sie ihre Installationen andernorts raumadäquat neu konstruiert.
„tipping point“ ist im Glasmuseum Frauenau noch bis 2. Juli zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog mit einem Vorwort der Museumsleiterin Karin Rühl und einem Interview mit der Künstlerin Simone Frezer erschienen.