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Frankfurt – „Hans Haacke – Retrospektive“ eines System- und Machtkritikers in der Schirn 

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Frankfurt – „Hans Haacke – Retrospektive“ eines System- und Machtkritikers in der Schirn 

©Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024,Foto:Norbert Miguletz

Ein Pferdeskelett in Lebensgröße, ein grüner Hügel, zertrümmerter Boden, ein wild wachsendes Beet mitten im Regierungsgebäude – Hans Haackes Installationen sieht man und versteht sie auf Anhieb. Er gilt als „Urvater für das, was wir…

auch Institutionskritik heute nennen“, so Kuratorin Ingrid Pfeiffer von der Frankfurter Schirn. Hans Haacke (*1936) ist einer der einfluss­reichs­ten Persönlichkeiten der Gegen­warts­kunst. In jungen Jahren arbeitete er als investigativer Journalist, später deckte er über Kunstprojekte Immobilien- und Steuerskandale auf. Er wurde wiederholt boykottiert, blieb aber unkorrumpierbar. Klar und direkt, poetisch und metaphorisch, ökologisch und politisch wurden seine Arbeiten zu kritischen Symbolen vernetzter Machtstrukturen, ökologischer Probleme und gesellschaftspolitischer Verwerfungen. 

Mit rund 70 Gemäl­den, Foto­gra­fien, Objek­ten, Instal­la­tio­nen, Aktio­nen, Plaka­ten und einem Film verdeut­licht die Ausstel­lung, wie Haacke zu einem der inter­na­tio­nal bedeu­tends­ten Konzeptkünstler wurde und die jüngere Künst­ler­Innenge­ne­ra­tion prägte. Haacke denkt und arbeitet systemisch. Er will Prozesse durchschaubar, Dinge sichtbar machen, die Systeme hinter den Systemen zeigen und zum Reflektieren und Analysieren provozieren. 

Die derzeitige Ausstellung spannt den Bogen von seinen ikonischen Frühwerken der 1960er Jahre über bedeutende Realzeit-Systeme, die die Mitwirkung des Publikums einfordern, bis zu seinen raumgreifenden Installationen, die aktuelle Themen sinnlich ins Bewusstsein rücken. 

Ausstellung "Hans Haacke. Retrospektive" in der Frankfurter Schirn präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024,Foto:Norbert Miguletz

Schon vor der Frankfurter Kunsthalle ironisiert die riesige, bis auf die Knochen reduzierte Metallskulptur „Gift Horse“ (zu deutsch „Geschenkter Gaul“) durch eine Geschenkschleife mit Börsenkursen in Laufschrift als parodistische Variante des traditionellen Reiterstandbildes, wohin Machtgigantomanie führt. 

1993 zertrümmerte Haacke in Venedig den Marmorboden im deutschen Pavillon und legte mit seinem Projekt „Germania“ den Irrsinn nicht nur des deutschen Nationalsozialismus frei. Es wurde das am meisten diskutierte Projekt der Biennale. 

Für sein Kunstprojekt für den Bundestag nach der deutschen Wiedervereinigung inspirierte ihn die einengende Inschrift am alten Reichstagsgebäude „Dem deutschen Volke“ von 1916. Konträr dazu widmete Haacke sein Beet im Innenhof des Parlaments, wofür alle Abgeordneten aus ihren Wahlkreisen Samen mitbringen mussten, „Der Bevölkerung“ und schuf damit ein partizipatives Symbol für Demokratie, Freiheit und Vielfalt, was zu einer heftigen Debatte im Bundestag führte. Über einen Mehrheitsentschluss von nur zwei Stimmen wurde es schließlich doch noch genehmigt. Die vegetativen Veränderungen werden in regelmäßigen Abständen über eine Kamera dokumentiert. 

Zur Ausstellung „Hans Haacke. Retrospektive“ ist ein umfangreicher Katalog im Hirmer Verlag erschienen. Die Ausstellung ist noch bis 9. Februar in der Frankfurter Schirn zu sehen.