©Hamburger Bahnhof, Sammlung Haubrok, Foto Michaela Schabel
18 Särge aus Wellpappe versperren in Rodney McMillians Installation den Weg, Sinnbild dafür wie vielen Menschen die Zukunft versperrt bleibt, eine Arbeit, die an Rassismus und Migrationsbewegungen denken lässt, die jedes Jahr vielen Menschen das Leben kosten. Die Kirchen sind keine Zufluchtsorte mehr, sie wirken weniger als Schutz der Freiheit, denn als Einengung, wie die beiden Gitterkäfige von Tom Burr in diesem Kontext assoziieren lassen. Religiöse Motive wie Jesus am Ölberg verlieren als Meterware ihre spirituelle Bedeutung.
©Hamburger Bahnhof, Sammlung Haubrok, Foto Michaela Schabel
Zuweilen werden Kirchen von Designern für die Werbung entdeckt. Dass Park McArthur die Werbung des US-Badherstellers Toto mit Toilettenmodell in einer Kirche präsentiert, verdeutlicht die Perversion der Verhältnisse. „Church for Sale“ dient der Befriedigung von allen möglichen Bedürfnissen, nur nicht den wesentlichen. So nennt Edgar Arceneaux seine sechsteilige knallig aquarellierte Bildserie von 2013, mit der er auf den drohenden finanziellen Bankrott von Detroit aufmerksam machen wollte, die jetzt titelgebend für die Ausstellung wurde möglich durch Werke aus der Sammlung Haubrok und der Sammlung der Nationalgalerie Berlin.
©Rodney McMillians Michaela Schabel
Wie stark die USA auch gesellschaftlich abgewirtschaftet sind, zeigt Cady Noland in ihrer Installation „Blank for Serial“. Zelle oder Boxring, die kleine quadratische durch Stangen abgetrennte Fläche bedeutet beides, symbolisiert Einengung und brutales Vorgehen gegen Menschen. Die US-Fahne flattert nicht im Wind, ist kein Freiheitszeichen mehr, mit Handschellen an eine Stange angekettet verkörpert sie nationalen Druck und gesellschaftliche Zwänge.
©Cady Noland, Foto Michaela Schabel
Doch wie baut man einen menschenwürdigen Staat? Vier Säcke voll mit Sand reichen nicht. Die 40 Kubikmeter Erdreich, die Santiago Sierra aus Spanien importieren ließ, sollen den Ausverkauf der ärmeren Länder an die reichen verdeutlichen. Das erschließt sich allerdings nur, wenn man Werkbeschreibungen studiert.
©Cady Noland, Foto Michaela Schabel
Das ist bei den Migrationsthemen nicht nötig. Mit einer kleinen blauen Kinderjacke auf einem Straßenpolder, getitelt als „Lost & Found“ suggeriert Claire Fontaine sehr berührend in der Weite der Halle die unendliche Einsamkeit eines alleingelassenen, auf sich gestellten Kindes.
©Claire Fontaine, Foto Michaela Schabel
Von „Lost & Found“ führt die Blickachse zu den Migrationsströmen von Afrika nach Europa. Alfredo Jaar gelingt mit „(kindness) of (Strangers)“ als Landkarte gezeichnet und als großformatiges Neonbild abstrahiert ein Mahnmal unserer transnationalen Misere, das wie ein strategisches Invasionsbild weithin leuchtet und im kalten Licht die fehlende Freundlichkeit fühlen lässt.
©Alfredo Jaar, Foto Michaela Schabel
Die KünstlerInnen legen mit ihren Werken die Finger in die gesellschaftspolitischen Wunden unserer Zeit, thematisieren die Verletzlichkeit der Menschen und ihre verbundene Sensibilität. Ein Besucher aus Israel echauffierte sich sehr über Emily Laciers Videoprojekt, indem sie den täglichen Gang zur Universität durch das abgeriegelte Grenzgebiet entlang der Ramallah-Birzeit-Road Richtung Universität, symbolisch der Weg zu Erfolg und Reichtum, filmte. Filmen ist hier verboten. Ein Soldat nahm ihr die Kamera ab. Sie filmte weiter mit der Kamera versteckt in einer Tasche mit Loch, wodurch sich der Weg noch wackeliger und schwerer vermittelt. Erst in einem Gespräch konnte der Israeli die Intention der Ausstellung verstehen Empathie für konträre Positionen zu gewinnen. Vor solchem Hintergrund zeigt sich die Qualität dieser Ausstellung.
Gleichzeitig greift das Büro b+ (Arno Brandlhuber, Florian Jaritz, Gregor Zorzi) die Problematik bezüglich der Zukunft des Ausstellungsgebäudes auf. Die aus der Flucht der Baugrenze im Bebauungsplan resultierende Linie wurde mittels Material für Baustellenumhausungen in eine Mauer verwandelt und damit die historische Ausstellungshalle von N nach S durchtrennt. Der Hamburger Bahnhof als Ort der Kunst ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. „Museum for Sale“ so die Botschaft.