©Agnete Brun
Über eine große, steile Treppe wird der Blick in den Himmel gelenkt. Die Seele fühlt sich wie…
eine Wolke an, manchmal wie wuchtige Cumulus- oder zarte Cirrurruswolken. Um dieses Aufbauschen und Sich-Auflösen von Gefühlen kreist Dag Johan Haugeruds neuer Film „Dreams“, nach „Sex“ und „Love“ der dritte Teil seiner Trilogie, der wieder in der privilegierten Mittelschicht Oslos von alltäglichen Gefühlen und Problemen handelt, die Haugerud durch seine eigene Sozialisation sehr gut kennt und entsprechend authentisch wiedergeben kann.
„Dreams“ beginnt wie ein Roman, wandelt sich über einen langem Monolog der 16-jährigen Johanne in ein psychologisches Kammerspiel kombiniert mit einem Liebesbrief, der als fast 100-seitiger Debütroman publiziert wird, wobei sexuelle Bedürfnisse aus der Perspektive von drei Generationen diskutiert werden und durch Erinnerungen das Geschehen objektiviert wird.
Johanne sehnt sich nach der großen, einmaligen Liebe, die sie auf die neue Französischlehrerin Johanna projiziert. Als diese ihr das Stricken beibringt, schwebt Johanne über den Wolken und interpretiert jede Annäherung als sexuelles Begehren. Johannes Welt stürzt zusammen, als Johanna plötzlich aus ihrem Leben verschwindet. Um sich die Großartigkeit dieser fantasierten Liebesbeziehung zu erhalten, schreibt sie die Geschichte auf und landet vom Lesen, fiktivem Erleben, poetisch übersteigerten Schreiben in der Realität. Sehr überzeugend spielt Ella Øverbye diese Wechselbäder der Gefühle und Erdung als pragmatisch denkende Schriftstellerin. Die norwegische Schauspielerin Selome Emnetu, mit Vorfahren aus Eritrea, gibt der Französichlehrerin einen umwerfenden Charme und ein entsprechendes Selbstbewusstsein durch ihre sympathische Wirkung. Gleichzeitig ist sie sich ihrer Rolle als Lehrerin bewusst und zieht rechtzeitig die Reißleine. Sie fürchtet Schuldzuweisungen wegen Missbrauch, an die die Mutter im ersten Schock tatsächlich dachte, sich aber angesichts der Tantiemen einer erfolgreichen Buchveröffentlichung schnell in ein Sprachrohr feministischer Queerness verwandelt. Tief berührt vom Liebesbrief ihrer Enkelin bekennt sich die Großmutter trotz ihres Alters zu ihren Liebessehnsüchten, die Haugeruich durch eine witzige Traumfrequenz zu parodieren weiß.
„Dreams“ ist ein sehr subtiler, humorvoller und ehrlicher Film über sexuelle Sehnsüchte zwischen Phantasie und Realität.
Künstlerisches Team: Dag Johan Haugerud (Drehbuch, Regie), Cecilie Semec (Kamera), Jens Christian Fodstad (Schnitt), Yvonne Stenberg, Gisle Tveito (Sound), Anna Berg (Komposition)
In den Hauptrollen: Ella Øverbye (Johanne), Selome Emnetu (Johanna), Kristin Ane Dahl Torp (Mutter), Karin Anne Marit Jacobsen (Großmutter)