©Deutsche Oper Berlin, Royalty Free
Nach den modernen Interpretationen von „Arabella“ und „Intermezzo“ wurde „Die Frau ohne Schatten“ als letzter Teil der Strauss-Trilogie in der Deutschen Oper derart bejubelt, dass anfängliche Buhs gegen die Regie untergingen, denn Regisseur Tobias Kratzer beweist einmal mehr die Kunst,…
Opern so zu aktualisieren, dass heutige Probleme und humane Botschaften im Einklang mit Hofmannsthals Libretto, vor allem mit Strauss’ bombastischer Orchesterpartitur sehr stimmig wirken. Sehr subtil, auf ganz selbstverständliche Weise öffnet Kratzer den Blick auf Leihmutterschaft, sich emanzipierende Frauen und die Kraft der Liebe, die durch Verzeihen einen Neubeginn ermöglicht.
In „Frau ohne Schatten“ (1919) treffen zwei soziale Schichten symbolträchtig für die damalige elementare Zeitenwende aufeinander. Der Kaiser ist seiner Macht durch Fortpflanzung beraubt. Seine Frau hat keinen Schatten, ein Symbol aus der persischen Mythologie, dass sie keine Kinder bekommt. Umgekehrt will die Färberin, Symbol für das malträtierte Volk und einer vom Mann zu wenig gewürdigten Frau ohne ökonomische Perspektive keine Kinder. Sie wäre bereit ihren Schatten zu verkaufen, in Kratzers Version eine Leihmutterschaft einzugehen, verhandelt von der Amme, aber eine Babyraub verhindert.
©Deutsche Oper Berlin, Royality Free
Doch erst als die Kaiserin erkennt, dass ihr persönliches Glück nicht auf Kosten anderer erfolgen kann, entspannt sich die Lage. Mit doppeltem Paarglück und zwei Dutzend spielender Kindergartenkinder als Finale wird „Die Frau ohne Schatten“ zum Symbol für selbstkritisches Handeln und eine Hommage für ein Leben mit Kindern.
Kratzer überfrachtet nicht. Der fulminanten Musik setzt er minimalistisch expressive Szenen entgegen. Ein rotierender Glaskubus gibt alternierend Einblick in kaiserlichen Ehebettenfrust und Streitigkeiten der Färbers. Beide Paare, so unterschiedlich sie sind, werfen die Frage auf, wie eine gleichberechtigte Beziehung auszusehen hätte. Noch dominieren Machogehabe, Faustrecht und egoistische Sturheit, durch die ausgefeilte Personenregie von den SängerInnen sehr authentisch dargestellt. Clay Hilley, der kurzfristig für David Butt Philip eingesprungen ist, zeichnet den Kaiser nach außen mit seinem kraftvoll heldischen, wagnerianischen Tenor und schauspielerisch der Melodie des Falken folgend als zutiefst Verzweifelter, der sich in Alkohol und Tanz flüchtet, dem schließlich nur noch die Selbstbefriedigung überbleibt, raffiniert ausgeleuchtet eine der stärksten Szenen. Daniela Köhler überzeugt gestisch als abweisende Kaiserin und selbstbewusste Tochter, stimmlich als emanzipierte Frau, die weiß, was sie will und sich schließlich von ihrem Vater und ihrer Amme löst, die Marina Prudenskaya überaus resolut in Szene setzt.
Dem Färber gibt Jordan Shanahan durch seinen wohlklingenden Bariton eine charismatische Aura, die er schauspielerisch rollenadäquat zu torpedieren weiß. Star des Abends ist in jeder Beziehung mit Abstand Catherine Foster, nicht auf der Bühne und in der kurzen Videosequenz eine Wucht.
Großes Lob gilt den Chören, die aus dem Hintergrund wunderbar subtil zu hören sind. Unter dem Dirigat von Sir Donald Runnicles leuchtet das außerordentlich groß besetzte Orchester der Deutschen Oper die Partitur in all ihren komplexen Facetten sehr atmosphärisch aus. Romantische Musikmalerei und realistische Inszenierung finden in dieser Produktion eine für beide Seiten gewinnende Intensität.
Künstlerisches Team: Sir Donald Runnicles, Axel Kober (Musikalische Leitung), Tobias Kratzer (Inszenierung), Rainer Sellmaier (Bühne, Kostüme), Olaf Winter (Licht), Janic Bebi, Manuel Braun, Jonas Dahl (Video), Jörg Königsdorf (Dramaturgie), Christian Lindhorst (Kinderchor), Jeremy Bines (Chöre),
Mit: Clay Hilley, David Butt Philip (Kaiser), Daniela Köhler (Kaiserin), Marina Prudenskaya (Amme), Jordan Shanahan (Färber), Catherine Foster (Färberin), Patrick Guetti (Geisterbote), Nina Soldodonikova (Stimme des Vogels)