Neue Nationalgalerie, 2021©smbBerlin
Im Alter von 76 Jahren übernahm Ludwig Mies van der Rohe den Auftrag, sein einziger in Deutschland, und griff auf eigene, nicht realisierte Entwürfe für ein Verwaltungsgebäude des kubanischen Rumherstellers Bacardi und das Georg-Schäfer-Museum in Schweinfurt zurück.
Es ist das erste Museum, das auf dem durch die Mauer durchschnittenen Potsdamer Platz eröffnet wurde, heute umgeben von der Berliner Philharmonie, der Hans Scharouns Staatsbibliothek, dem Kulturforum mit der Gemäldegalerie, dem Kupferstichkabinett und dem Kunstgewerbe- und Musikinstrumenten-Museum.
Die Dauerausstellung präsentiert Malerei, Skulpturen und Plastiken des 20. Jahrhunderts von der Klassischen Moderne bis zu den 1960er Jahren. Die vernetzten Räumlichkeiten unterstreichen die Parallelität der unterschiedlichsten Kunstrichtungen. Im Entrée bilden die Skulpturen einen spannenden Auftakt.
©Michaela Schabel
Kombiniert mit den konträren Bildern von Max Liebermann, Deutschlands größtem Impressionisten, und den expressionistischen Bildern von Ernst Ludwig Kirchner, entsteht ein interessanter Spannungsbogen, ergänzt durch zwei amüsante Schwarz-Weiß Videos zwischen gestern und heute, Historie und Science Fiction im Jahre 2000, die die realen Lebensbedingungen humorvoll überzeichnen.
„Potsdamer Platz“, Ernst Ludwig Kirchner, 1914©smbBerlin
Die Berliner Sammlung zeigt alle Aspekte der Klassischen Moderne, sehr übersichtlich und informativ präsentiert. Wofür steht die „Moderne“? Sie verdeutlicht den großen Umbruch durch die Industrialisierung, umfasst die vielen Erfindungen und Erneuerungen, politischen und gesellschaftlichen Freiheitsbewegungen, aber auch Ausbeutung und Armut, Krieg und Exil. Die Kunst reagierte nicht chronologisch, sondern mit einem sprunghaften Hin und Her zwischen verschiedenen Stilen und Ausdrucksformen. Zu sehen sind viele internationale berühmte Künstler wie Picasso, Braque, Munch, Delaunay, Beckmann, Feininger nicht unbedingt deren Ikonen, aber stilbildend für Expressionismus, Kubismus und Futurismus. „Scharfe Blicke“ der Neuen Sachlichkeit lassen neue Kleinode entdecken wie Curt Querners Selbstbildnis von 1933 mit einer Brennnessel in der Hand als Zeichen des Widerstands.
„Selbstbildnis mit Brennnessel“, Curt Querner, 1933©smbBerlin
Die Zeit des Nationalsozialismus wird facettenreich präsentiert. In den „Gesichtern der Zeit“ spiegeln sich die inneren Befindlichkeiten. Öffentlich zu sehen waren ab 1933 allerdings nur noch die figurativen Skulpturen, die dem Menschenbild des Nationalsozialismus entsprachen. In der skulpturalen Porträtreihe der Bildhauerin Renée Sintenis offerieren sich über ihre persönliche Entwicklung die Auswirkungen des Zeitgeschehens ab 1933.
Selbstporträtreihe von Renée Sintenis©smbBerlin
Etwa 20000 Kunstwerke wurden in der Zeit des Nationalsozialismus aus 100 deutschen Museen als entartete Kunst entfernt und beschlagnahmt. Einen Teil der Bilder benutzte man im Rahmen der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ als Mahnsymbol für den deutschen Kulturverfall. Die meisten Bilder wurden, soweit man sie nicht ins Ausland verkaufen konnte, vernichtet. Allein die Nationalgalerie Berlin verlor 500 Bilder, Leerstellen bis heute.
Horst Strempel verarbeitete ab 1941 seine eigenen Erfahrungen in Internierungslagern. Unmittelbar nach dem Krieg thematisiert er die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in den NS-Konzentrationslagern in seinem grau-schwarzen Triptychon „Nacht über Deutschland“
„Nacht über Deutschland“ Ausschnitt, Horst Strempel, 1945/46@smbBerlin
Wie zeigt sich die politische Idee des Kommunismus in der Bildenden Kunst? Conrad Felixmüller malte Otto Rühe als Redner der Kommunistischen Arbeiterpartei in Dresden. Aus Angst vor den Nationalsozialisten zerschnitt er das Gemälde, versteckte das zentrale Fragment und malte das ganze Werk 1946 nach einer Fotografie.
„Der Redner Otto Rühle“, Conrad Felixmüller, 1920/46 ©smb
Heinrich Vogelers „Komplexbilder“ zergliedert kubistisch die Bildfläche in Felder, die er mit realistisch gemalten Szenen aus dem gesellschaftlichen Alltag der Sowjetunion füllt und sie in der Großstruktur mit den sowjettypischen Symbolen von Hammer und Sichel rahmt. In der Sowjetunion als zu modern abgelehnt, sind diese Bilder dennoch Lehrtafeln kommunistischer Propaganda.
„Baku“, Heinrich Vogeler, 1927©smbBerlin
Sehr gekonnt positioniert kommen die Skulpturen der Berliner Sammlungen in den Räumlichkeiten…
„Der Gestürzte“, Wilhelm Lehmbruck, 1916/17@smbBerlin
…und im Skulpturengarten zur Wirkung.
©Michaela Schabel
Der absolute Höhepunkt ist aber derzeit die Sonderausstellung der Skulpturen von „Alexander Calder – Minimal/Maximal“, die im Erdgeschoss durch die Vollverglasung in die Bipolarität stabilen und fragilen Werken, von monumentaler Wucht und filigraner Schemenhaftigkeit samt Schattenwirkung nicht besser positioniert sein könnten, Ästhetik pur und darüber hinaus ein poetisches Erlebnis, das die Seele beschwingt.
©Michaela Schabel
Alexander Calder (1898-1976) ist durch sein Hauptwerk „Têtes et queue“ (1965) seit Jahrzehnten eng mit der Neuen Nationalgalerie verbunden, bei deren Eröffnung es auf der Terrasse dauerhaft verortet wurde. In all seinen Werken spürt Alexander Calder den Verhältnissen von Größe, Maßstab und Raum nach und eröffnet durch die Gegenüberstellungen extrem konträrer Formen neue Perspektiven, die gerade im Kontrast zu der streng geometrisch Linien Ludwig Mies van der Rohes noch stärker hervorgehoben werden.
Die Sonderausstellung von „Alexander Calder – Minimal/Maximal“ ist noch bis 13. Februar 2022 zu sehen.
Weitere Sonder-Ausstellungen sind demnächst besprochen.