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Gerade die Pandemie und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Probleme zeigen, wie richtig, wichtig und zielgerade die Argumente Thomas Pikettys sind. Er ist der festen Überzeugung, dass über die Überwindung des Kapitalismus nachgedacht werden muss und wir „einen neuen, partizipativen und dezentralen, föderalen und demokratischen, ökologischen, diversen und feministischen Sozialismus brauchen.“
„Ein Prozent der Weltbevölkerung verfügt über einen astronomischen Anteil am Gesamteigentum“. Den Beweis führt Thomas Piketty über Statistiken und die historischen Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert und immer wieder durch das desaströse Verhalten nach der Sklaverei, das in keinem Land mit den notwendigen Investitionen in Bildung und Gesundheit, in Alters-, und Sozialversicherungen verbunden war, ohne die keine gerechte Entwicklung möglich ist. Für Thomas Piketty beruht partizipativer Sozialismus auf Bildungsgleichheit und Sozialstaat, auf einer permanenten Zirkulation von Macht und Eigentum und einer gerechten, nachhaltigen Globalisierung. Ein Wandel gelingt nur durch starke Besteuerung der einkommensstarken Schichten und durch die Verwendung dieser Steuereinnahmen für Bildung, Arbeitsabsicherung und ökologische Innovationen. Wie seine Analysen zeigen ist die Produktivität eines Landes immer an den Bildungsgrad der Bevölkerung gebunden und ein Klimawandel ohne Zurückdrängung sozialer Ungerechtigkeiten nicht erreichbar.
Seine Recherchen überzeugen intellektuell, bleiben aber nichtsdestoweniger angesichts des komplexen Lobbyismus, durch egomanische, gesellschaftsspaltende Identitätsdebatten und fehlende charismatische Politiker nur idealistische Visionen. Thomas Pikettys neue Herrschaftsvision, dass jeder Mensch 100000 Euro bekommt, die er vermehren kann und nur wenige vielleicht ein paar Millionen klingt im Umfeld heutiger Wirklichkeiten wie ein Sozialmärchen. Dass zumindest eine Besteuerung der Reichen allerdings ohne Abwanderung durchaus möglich ist, beweisen die einstigen enormen Steuerprogressionen in den USA der 1910er und 1920er Jahre.
An einer Reihe von Beispielen zeigt Thomas Piketty, wie politische Entscheidungen soziales Miteinander ruinieren. Das begann im großen Stil nach der Sklavenbefreiung mit den Lastenausgleich für die Sklavenhalter, statt den Sehwarzen echte Startchancen zu geben und setzt sich in der Gegenwart fort in den immer noch existierenden Steueroasen und den explosiven Gewinnerträgen der Reichen. Mit dem „katalanischen Syndrom“, dezentralisierten Steuersätzen, begann in Spanien die landesinterne Konkurrenz. In Russland explodierte der Postkapitalismus in den Hypokapitalismus der Oligarchen. Durch das Steuerdumping begünstigen Trump und Marcon die Reichen. Die Unterschichten fühlen sich immer mehr im Stich gelassen. Fremdenhass, Rassismus, Rechtspopulismus und Sozialnativismus werden gefördert.
Thomas Piketty plädiert deshalb für eine EU als Gegengewicht zum globalen Kapitalismus, statt Betonung der nationalen Eigenheiten Verantwortung für die anstehenden sozialen und ökologischen Probleme. „Wer Europa liebt, muss es verändern“ titelt er sein letztes Kapitel. Das beinhaltet für Thomas Piketty eine politische, soziale und ökologische Umgestaltung Europas, eine EU mit einem gemeinsamen Haushalt, gemeinsamen Steuern, Wachstumsstrategien auf der Basis einer parlamentarischen Versammlung, die sich zu 80 % aus den nationalen Parlamenten bildet und deren Gesetzesvorlagen nicht mehr einstimmig ratifiziert werden müssen bzw. durch das Vetorecht auf Eis gelegt werden. Er will „kein Europa des Finanzausgleichs“, sondern ein Europa, in dem ambitioniert investiert wird, „um die Aufnahme von Migranten zu finanzieren und die Akteure dieses Wandels zu unterstützen“.
Für Thomas Piketty ist es höchste Zeit identitären Nationalismus und elitären Liberalismus zurückzufahren und gemeinsam den Fokus auf Bildungsgerechtigkeit, Überwindung kapitalistischen Eigentums und ökologischen Lebensstils zu lenken. Der Freihandel ist an die Einigung auf verpflichtende soziale Ziele zu binden, die es ermöglichen, die reichsten und mobilsten Wirtschaftsakteure zur Kasse zu bitten und so ein nachhaltiges und gerechtes Entwicklungsmodell ohne nationalistische und ideologische Verankerung, sondern in global ethischer Verantwortung zu fördern.
Thomas Piketty wurde 1971 in Clichy bei Paris geboren, studierte Ökonomie. Mit 22 Jahren promovierte er über „Umverteilung“, die zu seinem Lebensthema wurde. Er will mit realen Daten reale Probleme erörtern oder sogar lösen. Als lehrender und forschender Sozialwissenschaftler spezialisierte er sich auf die Geschichte der Ungleichheit und das Verhältnis von wirtschaftlicher Entwicklung, Vermögensverteilung und politischen Konflikten. Dazu veröffentlichte er einige umfangreiche Werke. Mit „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ sorgte er 2014 weltweit für Aufmerksamkeit. Es folgten ,„Die Schlacht um den Euro“ (2015), ,,Ökonomie der Ungleichheit“ (2016), ,,Das Kapital und die Ideologie“ (2020).
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Thomas Piketty „Der Sozialismus der Zukunft – Interventionen“ C. H. Beck-Verlag, München 2021, 233 S.