©Residenztheater, Birgit Hupfeld
Eine kleine, in den Eckwinkel der Wand geschnittene kreisende Tanzfläche suggeriert die Enge beim Feiern, und doch ist jeder für sich noch mehr isoliert, aufgereiht entlang der langen Raumwände. „Es ist zu voll. Man bekommt kaum Luft.“ Trotzdem machen sie alle weiter. Kommunikation findet kaum statt. Statements, hohle Phrasen genügen, springen wie Pingpong-Bälle hin und her, werden weitergeführt, spiegeln ohne sprachlogische Verknüpfungen teilweise aus der Fremdperspektive Erinnerungen, Emotionen und verstärken immer mehr die Vereinsamung dieser sieben Menschen, die als soziale Prototypen Leitlinien setzen und beweisen, dass eben nicht alle gleich sind. Die meisten bleiben im Bienenstatus, fleißig ohne Aufstiegschancen.
Unter Nora Schlockers Regie gewinnt Schimmelpfennigs Textcollage zwischen den schrillen Lichtkontrasten und bizarren Schatteneffekten, hämmernden Beats und lyrischen Klavierakkorden einen unerwarteten poetischen Tiefgang mit Mirijam als emotionales Zentrum (Yodit Tarikwa).
Kein Mensch weiß, wer diese exotische Schwarzafrikanerin, eine Krankenpflegerin, wie sich später herausstellt, eingeladen hat. Aber ihre sanften weichen Bewegungen in ihrem Glitzerkleid und ihr glückliches Lachen durchsonnt die an sich sehr hippe, hysterische Fassadenszenerie. Ein junger Mann (Thiemo Strutzenberger) ist ganz in ihrem Bann. Doch ihr Bekenntnis „Ich habe mich verliebt“ gilt nicht ihm.
Das hippe, erfolgreiche Umfeld steht vorerst im Vordergrund und steuert, ohne es wahrzunehmen voll auf die virale Krise zu, ohne Corona beim Namen zu nennen. Die Vorboten, immer wieder haut es die Sicherungen raus, werden ignoriert, doch selbst im Partymodus die latenten Probleme sichtbar. Carolin Conrad als vielgereiste, alkoholisierte Lady, ein Wrack globalisierter Mobilität, mit permanenten Niesattacken und Schüttelfrost rempelt slapstickartig immer wieder den Kellner samt Tablett mit vollen Gläsern um, degradiert ihn zum Loser und schnappt ihn sich, um ihrer Vereinsamung zu entfliehen.
©Residenztheater, Birgit Hupfeld
Eine andere sucht ihr Heil in griechischen Mythologisierungen, eine dritte in Geistern und Monstern. Der Hausherr, an einem Tag seiner ökonomischen Existenz beraubt, beendet sein Leben mit dem Jagdgewehr. Seine Frau kann indessen Mirjam nicht vergessen „Ich muss immer an dich denken“. Mirjam ist inzwischen tot. Sie starb drei Tage nach der Party isoliert, allein in der Klinik. Ob ihr größter Wunsch, dort zu leben, wo sie wollte, in Erfüllung ging, bleibt offen. Nur ihre größte Angst zu ersticken, hat sich erfüllt. In der Stille wirkt Mirjams Aura weiter und begleitet den Theaterbesucher auf seinem Nachhauseweg.
©Residenztheater, Birgit Hupfeld
So verwandelt Nora Schlocker durch ihre gelungene Personenregie Roland Schimmelpfennigs zeitgeistig skizziertes Stück in eine poetische Metapher, die durchaus Nachklang entwickelt und unabhängig von der Corona-Krise die Finger auf die emotionalen Defizite unserer Gesellschaft legt.
Künstlerisches Team: Nora Schlocker (Regie), Irina Schicketanz (Bühne), Vanessa Rust (Kostüme), Nevena Glušica (Musik), Gerrit Jurda (Licht), Constanze Kargl (Dramaturgie)
Mit: Thomas Reisinger, Max Rothbart, Thiemo Strutzenberger, Yodit Tarikwa, Ulrike Willenbacher, Katja Jung, Carolin Conrad