©Schaubühne Berlin, Thomas Aurin
Einst war Vernon Subutex Besitzer eines Plattenladens mit hipper Kundschaft und von Groupies umschwärmt. Die Digitalsierung ruinierte ihn. Er wurde zum Spezialisten für Bewerbungen, Ausreden, zur Parodie eines 50-jährigen chancenlosen Auszubildenden. Er schnorrt sich über seine Beziehungen von Bleibe zu Bleibe, findet bei seinem ehemaligen Bandkollegen, dem Rockstar Alex Bleach einen Mäzen und landet nach dessen Tod obdachlos auf der Straße. Subutex´ Weg wirft Schlaglichter auf die Spaltung der Gesellschaft. Extrem reich trifft auf extrem arm, glücklich ist keiner, eher am Rand der Verzweiflung. Jeder kämpft um sein bisschen Existenz und die Frauen sind immer noch in erster Linie Sexobjekte.
©Schaubühne Berlin, Thomas Aurin
Was Virginie Despentes in ihrem Roman als spezifische Pariser Stimmung beschreibt, weitet Thomas Ostermeier auf großstädtisches Leben generell aus. Er setzt auf eine vorwiegend solistische Nummernrevue, in der soziale Probleme als buntes Potpourri satirisch distanziert in den unterschiedlichsten Milieus in einem düster gehaltenen Ambiente vorbeiziehen. Längst sind die flotten Jugendjahre vorbei, einige haben sich etabliert, wenige wirklich rebelliert. Das soziale Kaleidoskop ist weit, reicht vom Irrsinn der Konsumerziehung, Machogehabe über Prostitution als feministischer Befreiungsschlag und Transgender als Mittel zum Schutz persönlicher Freiheit bis zur radikalen Muslima, die die Werte des liberalen Vaters in der Religion entdeckt.
Exzellent gespielt, über die Musik bis zur pulsierenden Technoparty mit halluzinogenen Filmriss via Videoprojektionen effektvoll aufgepeppt, ermüdet die Inszenierung adäquat zum frustrierten „Leben des Vernon Subutex 1“.
©Schaubühne Berlin, Thomas Aurin
Zu lange, zu monologisch schleppt sich die Tristesse in variierenden Kreisstrukturen hin. Schwer und frustrierend fühlt sich das Leben an, selbst für den Filmproduzenten, der ganz genau weiß, welcher Schrott Kohle bringt und welcher nicht. Die junge Drehbuchautorin macht sich ganz umsonst Avancen. Immer auf der Jagd nach zündenden Themen, will er das Leben des Alex Bleach verfilmen, aber an dessen letzte Kassetten kommt er trotz seiner raffinierten Schnüfflerin nicht ran, weil Subutex mit Bleach´ letzten Tonaufnahmen plötzlich verschwunden ist. In der Welt der Erfolgreichen ist Subutex unsichtbar geworden, eine prägnante Formulierung für dessen Leben. Ohne Happyend und einen satirischen Rundumschlag des Filmproduzenten parodiert Thomas Ostermeier noch einmal, was alles falsch läuft in den Metropolen der Welt und gleichzeitig ihr Lieblingsgenre, die Seifenoper. Trotz des aufgesetzten Handlungskonzepts, das das Potpourri noch schnell zusammenhalten soll, gibt es kein Happyend, nur angstbehaftete Konkurrenz, nicht der nächste Absteiger zu sein. Die gesellschaftlichen Veränderungen ruinieren die unterschiedlichsten Branchen. Die Bühne dieses Spiels wird sich weiterdrehen, inklusive der riesigen Revolver-Leuchtreklame als Mittel der Nötigung, aber auch des Auswegs.
Nach über vier Stunden depressiver Hoffnungslosigkeit ist es dann auch mehr als genug. Lust auf die angedachten weiteren beiden Folgen von Despentes´ Subutex -Trilogie bekommt man dabei nicht unbedingt, aber Neugier auf die weiteren Facetten dieses um sich greifenden Pessimismus, womit das mediale Fortsetzungskonzept auch im Theater angekommen ist.
Künstlerisches Team: Thomas Ostermeier (Regie), Nina Wetzel (Bühne, Kostüme), Sébastian Dupuey (Video), Nils Ostendorf (Musik), Bettina Ehrlich (Dramaturgie), Erich Schneider (Licht)
Mit: Joachim Meyerhoff (Vernon Subutex), Julia Schubert, Holger Bülow, Stephanie Eidt, Axel Wandtke, Ruth Rosenfeld, Henri Maximilian Jakobs, Bastian Reiber, Mano Thiravong, Hêvîn Tekin, Thomas Bading
MusikerInnen: Henri Maximilian Jakobs, Ruth Rosenfeld, Taylor Savvy, Thoma Witte