Roland Schwab gelingt Donizettis Belcante-Oper „Lucrezia Borgia“ als spannender Krimi einer Amüsiergesellschaft und rehabilitiert das Image der Giftmörderin Lucrezia Borgia
Lucrezia Borgia gilt als die große intrigante Giftmischerin des mächtigen Borgia-Clans. Kein geringerer als französische Dichter Victor Hugo (1802-1885) schrieb den romantischen Schauerroman „Lucrezia Borgia“, nachdem Donizettis Libretto für die gleichnamige Oper (1833) entstand und Lucrezia Borgia wiederum zum Männer mordenden Ungeheuer abgestempelt wurde. Die historische Realität ist eine andere. Gerade sie war die Ausnahme in der Borgia-Sippe und zog sich immer wieder in ein Kloster zurück, um die Schicksalsschläge, die man ihr als Giftmörderin unterschob, zu verarbeiten.
Hier setzt Regisseur Roland Schwab an. Er entdeckt in der Mörderin „Lucrezia Borgia“ das Opfer einer lustorientierten, sinnentleerten Gesellschaft. Entsprechend generalisiert er seine Inszenierung auf überall und jederzeit möglich und ermöglicht durch einen gigantischen Deckenspiegel raffiniert zwei extrem unterschiedliche Perspektiven, die gewohnte Ansicht und die distanzierte Draufsicht. Die leichten Verzerrungen an den Spiegelkanten lassen eine Treppe Richtung Machtthron assoziieren und zerstückeln später auf der Festtafel die Giftleichen horrormäßig. Nachtschwarz ist die Bühne. Umso besser wirken die Lichtprojektionen.
© Peter Litvai
Ein Wasserbecken steht für die Lagune Venedigs und die Extravaganz reicher Partyszenerie. Statt Blumenbouquets verwandeln Lichtgestecke die Party in eine Palast-Lounge. Im schwarz punkigen Partydress outen sich die Partyboys immer intensiver zwischen Suff und Sadismus. Nur Orsinos rote Punkfrisur leuchtet heraus, er ist der liebenswerte Unterhalter, und Lucrezias blonde Perücke (Bühne, Kostüme: Christl Wein). Das wirkt rasant, heutig, intensiviert den Belcanto durch fulminante Szenen.
©Peter Litvai
Als Lucrezia Borgia ihrem einzigen Sohn im Karneval von Venedig findet, wird sie von dessen Freunden mit Messern malträtiert, jede Attacke vom einem anderen jungen Verwandten eines ihrer Giftopfer, also ganz im Sinne des tradierten Meinungsbildes. Als düsteres Video dieses Exzesses in Großaufnahme im zweiten Akt eingespielt wird Lucrezia als Spielball sexueller Gier und Zielscheibe männlichen Urinierens zum Opfer einer Amüsiergesellschaft. Dazu zählt auch ihr sadistischer Ehemann, der vorgibt sie zu rächen, sie doch nur quälen will, weil ihre Qual ihm Macht und sexuelle Lust verschafft.
Wie schon in den bestechenden und unvergesslichen Inszenierungen von Dallapiccolas/Gesualdos „Der Gefangene“ und Sciarrinos „Luci mie traditrice“ entwickelt Roland Schwab einen spannenden Opernkrimi der Extraklasse, in dem jedes Detail stimmt. Wenn der Vorhang die Bühne wie eine Mauer trennt, Bibelzitate projiziert werden, Chor und Sänger im Stil einer Männershow agieren und posieren, der Tod mit Gasmaske den vergifteten Wein serviert, gleichzeitig Lucrezias Peiniger im Nebelgas zu ersticken scheinen, weiten sich die sozio-kulturellen Assoziationen.
©Peter Litvai
Die Sänger wirken durch die intensive Personenregie in ihren Rollen überaus authentisch. Als Lust gierige, orgiastische Partygesellschaft wird der Chor stimmlich und schauspielerisch nahtlos integriert und zum wichtigen Handlungsträger.
Die Rollenbesetzung ist grandios. Mit Yitian Luan, sie wurde 2012 von der „Opernwelt“ als beste Nachwuchssängerin ausgezeichnet, oszilliert Lucretia zwischen Vamp und Mutter, Rachsucht und Liebe. Mühelos singt sie diese anspruchsvolle Belcanto-Partitur mit wuchtiger Expression oder ganz gefühlvollem Pianissimo. Immer weicher wird ihr Timbre mit zunehmender Sorge und immer fulminanter in der Bedrängnis. Victor Campos Leal hält als Gennaro leidenschaftlich dagegen, genauso Kyung Chun Kim als souverän intriganter Ehemann Alfonso. Sabine Noack gibt einen originellen Orsino ab. Nur die Stimme verrät den Rollentausch. Mit ihrem klangvoll energetischen Mezzosopran verwandelt sie Orsino zum lebensfroh sympathischen Kumpel. Wunderbar passen die Timbres in den Duetten und Tutti zusammen. Selbst kleine Rollen lassen durch Stimmcharisma aufhorchen, Mark WatsonWilliams als Alfonsos Berater und Oscar Imhoff als Lucrezias Spion.
Basil H. E. Coleman dirigiert die Niederbayerische Philharmonie sehr subtil und dynamisch. Donizettis Wohlklang entfaltet sich in Ouvertüre in wunderbar weichen Hörnerklang. Später kristallisiert die Harfe die lyrischen Momente heraus. Das Orchester bleibt im Dienst der Sänger, untermalt und unterstreicht. Umgekehrt erlaubt die Fulminanz der Stimmen auch orchestrales Fortissimo.
Diese „Lucrezia Borgia“ sollte man sich nicht entgehen lassen. Selbst Operneinsteiger könnte Opernfans werden.
Michaela Schabel.