Foto: Jochen Klenk
Die Bühne dreht sich vom Salon zur Bibliothek, pietistisch karger Räumlichkeit, vergitterter Psychozelle bis zur Mini-Kabine und Gruft. Irgendwo steht immer der Flügel, als Symbol der Musik Beethovens und der Musik schlechthin. Beethoven selbst ist nur als Büste präsent.
Als alte verzweifelte Frau blickt Minona, die uneheliche Tochter Beethovens, auf ihr Leben zurück, das sich in der Erinnerung in ständigen Zeitsprüngen chronologisch zusammenfügt und via Live-Kamera herangezoomt und als rotierende Bildcollage die psychischen Prozesse unter der Handlungsebene ganz nah erleben lässt, denn es geht nicht um biografische Dokumentation, sondern um die psychischen Abgründe einer Frau, die nicht weiß, wer ihr Vater ist.
Minonas Mutter Josephine wurde in einer leidenschaftlichen Liebesnacht von Beethoven schwanger, kehrte aber aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung zu ihrem ungeliebten Ehemann Baron von Stackelberg zurück, unterschiebt ihm das Kind, trennt sich von ihm. Er zwingt den Töchtern Marie und Minona mit sadistischer Grausamkeit seine Vorstellung von pietistischen Gehorsam auf.
©Jochen Klenk
Minona lebt später bei der Tante in Ungarn, dann bei einer bekannten Gräfin in Wien, wo sie, erstmals liebevoll behandelt, als ältere Gesellschaftsdame Fuß fasst. Über Graf Teleki bekommt Minona Beethovens Liebesbriefe und die Gewissheit ihrer Herkunft. Verwirrt endet Minona in einem Wahn zwischen der Leidenschaft für die Kunst und der religiösen Indoktrination ihrer Jugend.
Das spannende Libretto, Jüri Reinvere hat es vor seiner Komposition selbst geschrieben, weitet Minona zur Projektionsfläche einer Frau, die ihre Identität sucht, „ihr ganzes Leben im Nebenzimmer verbracht“ hat, wobei gleichzeitig die gesellschaftlichen Knebelungen durch Stand, Religion und Geld gespiegelt werden. So gewinnt die Geschichte trotz ihrer historischen Verortung eine ergreifende Aktualität, zumal Regisseur Hendrik Müller die psychischen Qualen dieser Frau, von Theodora Varga sehr expressiv gesungen und nach am Wahn gespielt, drastisch, wenn auch zuweilen etwas pathetisch in Szene zu setzen weiß. Oper wird zum Psychokrimi, intensiviert durch Jüri Reinveres sonore klangsphärische Musik, die die psychotischen Situationen zwischen subtilstem Violinenflirren und sich mächtig aufschaukelnden, langgezogenen, sich kreuzenden Tonwalzen atmosphärisch wie Filmmusik untermalt, die in ihrer klanglichen Wucht zuweilen an Wagner erinnert. In Generalpausen klingt das Entsetzen nach, baut sich neue Spannung nach ähnlichen Klangmustern in ständiger wechselnder Dynamik auf. Jede Figur wird musikalisch charakterisiert. Das Orchester, von Chin-Chao Lin sehr facettenreich dirigiert, lässt den Arien Raum, überflutet nur Baron von Stackelbergs Sadismus (Adam Krużel) als apokalyptisches Klanginferno. Beethoven klingt nur als Minizitat an, ein paar Klänge aus der Schicksalssinfonie und aus dem „Fidelio“, kaum wahrgenommen, schon vorbei. Der Chor ist auf kurze Partien von Volk und Adel reduziert. Der Fokus liegt auf den Arien. Sie gewinnen nicht zuletzt durch die Sänger ihre Individualität. Anna Pisareva rebelliert als Mutter Josephine und junge Minona in rasanter Höhe. Vera Semieniuk gibt eine sehr emanzipiert denkende, durchdringende Gräfin von Goltz ab. Insgesamt betrachtet besticht Jüri Reinveres „Minona. Ein Leben im Schatten Beethovens“, seine dritte Oper, mehr durch das Libretto und die Inszenierung als durch die Musik.