©Lucie Janisch
Kein typischer Mozart
Im Auftrag von Gottfried van Swieten sollte Mozart fünfzig Jahre nach Händels „Messias“ (1742) diese Partitur für die Wiener Hofgesellschaft modernisieren. Grund waren die Reformen Josephs II., wobei auch die Aufführungen in der Kirche eingeschränkt wurden. Gottfried van Swieten gründete deshalb die „Gesellschaft der Assoccierten“, um oratorische Werke in privaten Zirkeln aufführen zu können. Mozart nahm an diesen Konzerten als Cembalo-Spieler teil und gestaltete später selbst das Programm.
Bei seiner Adaption von Händels Messias ging Mozart sehr behutsam vor. Von den Bläsern begeistert, fügte er weitere hinzu, insbesondere die Klarinetten, mit denen er die Grundstimmungen verdichtete. Fagotte übernahmen die Funktion des Generalbasses, zumal Orgeln in den Wiener Palais nicht vorhanden waren. Die harmonischen Gefüge wurden teilweise transponiert, Tempi und Dynamik den Wiener Hörgewohnheiten angepasst, die Arien gekürzt, wodurch sich Mozarts „Messias“ um eine halbe Stunde gegenüber dem Original verkürzte.
Der „Messias“ ist also kein idealtypischer Mozart, kann weder Händel- noch Mozartfans zufrieden stellen, auch wenn Les Musiciens du Louvre unter dem Dirigat von Marc Minkowski die Musik in historischer Manier überaus klar und klangschön aufleben lassen, in den Wiederholungen der Rezitative, in sehr subtilen Dynamikwechseln den pochenden Puls der Hoffnung spürbar machen, besonders ergreifend bei den beiden rein instrumentalen Sätzen.
Tiefgründige Visualisierung
Starregisseur Robert Wilson, wie immer verantwortlich auch für die Bühne und Kostüme, verwandelt den „Messias“ in eine Lichtmetapher und trifft damit genau den Urgrund des Werkes, der Messias als ewiges Licht, auch wenn er selbst seine „Messias“-Inszenierung weniger religiös als meditativ sieht. Die Szenenbilder folgen wie die Musik dem Kirchenjahr vom Advent, der Geburt des Messias, bis zur Passion, dem Tod und der Himmelfahrt. Adäquat zur klaren musikalischen Struktur stellt Wilson das Geschehen in einem Lichtkubus. Zwischen den Kantenlinien aus Neonröhren zaubert er subtile Lichtstimmungen. Zusätzlich interpretiert er die musikalische und textliche Dramatik mit grandiosen Videoprojektionen natürlicher Urgewalten und arrangiert Chor und Solisten mit expressiven Kostümen und noch expressiverer Gestik in ihrer existentiellen Einsamkeit. Mit minimalistisch surrealer Reduktion oszilliert die Inszenierung zwischen tiefer Ergriffenheit und satirischer Betrachtung. Dabei wird gerade durch die surreale Optikt jedes Detail zur Botschaft des „Messias“. Ein Mensch ohne Kopf, ein Flügel in der Luft signalisieren die Kontraste zwischen menschlichem Elend und himmlischer Leichtigkeit.
©Lucie Janisch
Ein Mädchen im Spiel mit einem Büttenmandl versinnbildlicht die Fröhlichkeit der Unschuld und lässt gleichzeitig eine Anspielung auf Mozarts ungestüme Wildheit assoziieren.
Performer Alexis Fousekis visualisiert mit Bändertanz, Spreizsprüngen, Endlosdrehungen und akrobatischen Radschlägen die lächerliche Rastlosigkeit und letztendlich Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz zwischen linearen Vorwärtsdrängen und Zurückgedrängtwerdens und unterstreicht damit einmal mehr die tänzerische Note Mozartscher Musik, ein alter gebückter Mann die Last der Lebenserkenntnis. Die Menschen in Schwarz wirken in Linien formiert wie Schattenwesen. Verdorrte Äste in den Händen der Menschen, ein schwebender Baumstamm, der sich versiebenfacht, die Urgewalt tobenden Meeres, die Kälte der Eisberge zielen über die menschlichen Abgründe hinweg auf die Folgen menschlichen Handelns, die gegenwärtige ökologische Krise. Doch schon in den langen, etwas abstehenden Handschuhen, zwischen menschlich bizarrer Wehrhaftigkeit, durch beflügelnden Glauben oszillierend, deuten Hoffnung. Wenn zum „Halleluja“ der Wiederauferstehung weißer Dampf nach oben lodert. ein schwebender kahl abstrahierter Obstbaum sich dreht, die Wurzeln nach oben, die Krone nach unten das Verhältnis zwischen Messias als Urgrund und den Menschen als Früchte der Zukunft metamorphorisiert und im Tutti ein gigantisches „Amen“ erklingt, siegt die Hoffnung.
©Lucie Janisch
Gleichzeitig lässt Wilson über die beiden Solistenpaare barocke Jenseitigkeit und Mozarts kokettierenden Zeitgeist aufleuchten. Sopranistin Elena Tsalllagova mit ihrem kraftvollen Sopran verkörpert ganz in Weiß die reinen unbefleckten Figuren, wie Mutter Maria und Engel. José Coca Loza, schlammfarben umwickelt, wird zum Sprachrohr des menschlichen Elends, hätte dabei mit seinem Bass noch durchdringender sein können. Wiebke Lehmkuhl mit ihrer kraftvollen Altstimme und Richard Croft signalisieren trotz ihrer sehr ernsthaften Arien durch exzentrische Gestik, parodierende Mimik die oberflächliche Lebensfreude gut betuchter Gesellschaftsschichten.
Noch klappt nicht jeder Lichtwechsel punktgenau zum musikalischen Geschehen, doch der Gesamteindruck ist phantastisch und nachhaltig.