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Möglich war dies durch Mut zu grundsätzlichen Veränderungen. Hummel kürzte seine Musik, verdichtete sein komplexes Werk noch mehr, indem er Wagnerisches Klangpathos in dissonante Moderne weiterführt und durch wilden Trommelwirbeln karikiert. Der junge taiwanesische Dirigent Chin-Chao Lin und derzeitige Regensburger GMD bringt das Hummelsche Feuerwerk musikalischer Zitate temperamentvoll zur Wirkung, wechselt variantenreich zwischen zackiger Marschmusik und zauberhafter Walzereuphorie, schriller Volkstümlichkeit und holdseligen Melodien und bindet den Chor (Leitung: Alistair Lilley) wirkungsvoll ein. Mit Opernsängern besetzt verwandeln sich die Musical-Schmachtsongs in wunderschöne Operarien, allen voran Sara-Maria Saalmann als Sissi.
Das Libretto von Stephan Barbarino besticht durch karikierenden Charme. Regisseur Sam Brown kreiert daraus ein herrlich kreatives Spektakel, in dem Kunst contra Politik mit wagnerianischem Bombast auf bayerisches Lokalkolorit prallt, Licht und Schatten um den Märchenkönig humoristisch hinterfragt und sehr deutlich zwischen Mitgefühl und pathetisch grotesker Übertreibung dargestellt werden.
Mit „nur“ 60 Mitwirkenden ist „Ludwig II.“ eine logistische Meisterleistung für das Regensburger Stadttheater. Das Ergebnis ist konzeptionell, ästhetisch, teilweise in den Originalkostümen der ersten Produktion, ergänzt durch die Kreationen Louise Flanagans, und sängerisch eine großartige Ensemblearbeit.
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Wie in einem Märchen schweben, rollen die Figuren auf die Bühne, auf der sich der kleine Ludwig schon Schlösser mit Bauklötzchen ausdenkt, umringt von weißen Marmorstatuen der Nymphen, die ihn leitmotivisch als Mutter- und Musensymbole sängerisch und tänzerisch im Leben begleiten. Immer aufs Neue entfachen sie in Bairisch Ludwigs „Kunst du holder Traum“. Gleichzeitig bezieht der fröhliche Beginn mit Ludwig II. im gläsernen Sarkophag den Tod des Vaters mit ein. Zwischen dessen Ende und dem Tod des Ludwig II. konzipiert Regisseur Sam Brown das Leben Ludwig II. mit ironischen Tiefgang und berührender Melancholie punktgenau zur Musik voller Empathie für beide Seiten, für den exaltierten König und die überforderte Staatsvernunft.
Das vierköpfige Kabinett gibt den politischen Ton an, ein bayerisches Kabarett-Quartett.
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Ludwig II. muss auf die richtige Spur gebracht werden, aber das gelang schon als Kind nicht. Die Erinnerungen an den kleinen Bruder wirken wie Traumata Ludwigs II., wenn jener begeistert auf Kriegsheld gedrillt wird, später in eine Zwangsjacke gesteckt und betäubt in einer Anstalt weggesperrt wird (Clemens Schöberl). Der erwachsene Ludwig leidet mit dem jungen Bruder und fühlt sich ein Leben lang beäugt, kontrolliert, bis ins Bett ausspioniert.
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Dieser Ludwig II., mit Johannes Mooser eine parodistisch imposant voluminöse Erscheinung, mit optischer Anspielung auf den Kini-Imitator Moshammer um eine weitere Satireebene bereichert und im Opern- und Opiumdilirium immer untragbarer, muss weg. So entwickelt sich die beschwingt witzige Operette zur bitterbösen Polit-und Kultursatire. Nur im Walzertakt gelingt die Leichtigkeit des Seins in witzig wechselnden Paarkonstellationen, herrlich erotisch stilisiert von Tänzern des Regensburger Tanzensembles übertrumpft (Choreographie Tamás Mester). Cosima von Bülow (Andrea Dohnicht-Pruditsch) mit Richard Wagner (Christopher von Lerchenfeld) leidenschaftlich unter dem Flügel, auf dem Gemahl Bülow gerade spielt, später in flagranti Backstage nach der „Siegfried“-Vorstellung erwischt sind herrliche Szenensketche, nicht minder kokett die Liason Prinzessin Sophies (Vera Semieniuk) mit dem Hoffotografen (Brent L. Damier).
Bengt Gomér baut dem König einen Glaspalast auf der Drehbühne. 90 Grad gedreht wandelt sich glitzerndes Ambiente in regennassen Alltag, etwas angehoben kommt darunter Ludwigs Opiumshöhle zum Vorschein, schon argwöhnisch von den Kabinettsmitgliedern per Feldstecher von den Theaterlogen aus beobachtet. Im Ballon auf Weltreise über die Paläste der Welt hinweg ist er bereits im Visier der Gewehre. Doch die Endlösung findet medizinisch statt, bleibt wie gehabt nebulös, wird aber wiederholt klar geplant. Nicht nur der Tod von „Ludwig II“ entmystifiziert, seine ganze Persönlichkeit bekommt die Patina der Groteske. Ein charmanter, amüsanter und durchaus aufgeklärter Umgang mit Bayerns großen Märchenkönig.
Hummels Musik verortet in einem Orchestergraben, gesungen und interpretiert von einem Opernensemble könnte die Regensburger Inszenierung durchaus ein Revival „Ludwig II.“ initiieren.