©Petra Hermann/STNBG
Unter der Regie von Jens-Daniel Herzog wird „La Calisto“ zur amüsanten Unterhaltung mit ironischem Tiefgang. „Studiare“ prangt dreifach über der Schultafel. Was sollen die Mädchen lernen, optisch verortet in bella Italia der Kostüme und Schuluniformen der 70er Jahre mit ironischem Bezug zu heutigen Problemen, die daraus resultieren?
Giovanni Faustini abstruses, höchst erotisches Libretto ist für Regisseur Jens-Daniel Herzog eine Fundgrube traditioneller Klischees, frecher Travestien und Parodien. Die Erde vertrocknet, wie Dokumentationsbilder beweisen. Doch der Göttervater Giove (Jupiter) schäkert lieber pädophil mit den Schulmädchen. Jupiter „hat den Menschen leider den freien Willen gegeben“, ihn zu umgehen, weiß Freund Merkur.
Aus den Liebesgeschichten zwischen Göttern und Menschen, Giove und Calisto, Diana und Endimione, den Liebessehnsüchten der Nymphe Linfea und Pans macht er einen Schulmädchenreport italienischen Kolorits mit Crossover- Anspielungen auf die rebellische Greta unserer Tag, zunehmende Umweltbelastung und die immer noch sehr traditionellen Mann-Frau Beziehungen.
Eine Schultafel mutiert geöffnet zur zweiten Guckkastenbühne en miniature. Darin geben die allegorischen Figuren La Natura, L´Eternità und Il Destino Einblick in die himmlische Buchhaltung. Calisto wird gerade am Sternenhimmel aufgenommen, warum das so ist, wird retrospektiv erzählt.
Fahrbare Bühnenteile, aus der Tiefe auftauchende Miniräume (Bühne Mathis Neidhardt) Licht- und Nebeleffekte ermöglichen in Windeseile variantenreiche Örtlichkeiten zwischen Internat und Motorradwerkstätte, zwischen Duschraum und Schlafsaal, Klassenzimmer und Piazza. Bremsende Autos quietschen und rauchen, Motorräder knattern über die Bühne. sorgen für dramaturgische Live-Effekte und burleske Komödie.
©Petra Hermann/STNBG
Im Mittelpunkt stehen die Frauen. In der Schule lernen die Mädchen Kampftechnik, im Leben bleiben sie dominiert von den Männern und Göttern. Auf beide ist kein Verlass und bei den Frauen setzt der Verstand aus, wenn es um die Liebe geht. Calisto nackt in der Dusche merkt nicht einmal, dass Giove, ein Mann, nicht die angehimmelte Schulleiterin, sprich Diana , sie liebt, was in Folge zu witzigen Verwirrungen führt. Juno, Gioves eifersüchtige Ehefrau, wird zur Megäre und lässt Calisto von ihren mafiösen Helfershelfern rollstuhlreif drangsalieren. Martin Platz herrlich transvestitisch und burlesk als Nymphe Linfea besetzt sucht dringend einen Mann. Nur Diana (Almerija Delic) und Endimione (David DQ Lee) als Raumpfleger gelingt es ihre Liebe trotz kaum zu überwindender Standesgrenzen zu leben. Gesellschaftlich wird allerdings Dianas emanzipiertes Verhalten degradiert. „Sie ist auch nur eine Frau“.
Den Weg in die Zukunft weist Choreograf Ingo Schweiger mit den Performances der acht Schulmädchen. Sie wehren sich mit Stühlen, wissen mit Handtüchern zu verführen und sich mit tänzerischen Kampftechniken zu wehren.
©Petra Hermann/STNBG
Das Ensemble spielt und koloriert in allen Besetzungen famos. Grandios sind die Hauptrollen besetzt. Ks. Jochen Kupfer gibt mit einem breiten Tonspektrum mit warmen Tiefen und brillanten Höhen einen überaus charmanten Jupiter und einen noch sympathischeren Transvestiten ab. Nicht zuletzt durch sein witziges Ver- bzw. Entkleiden (Kostüme Sibylle Gädeke) und durch extreme Tonsprünge sorgt er für parodistische Momente. Spätestens nackt in der Dusche werden barocke Koloraturarien zum Inbegriff orgiastischer Freuden. Almerija Delic hält stimmlich dagegen, zeigt Diana hinter der Fassade der strengen Schulleiterin als liebende Frau im lyrischen Duktus ihrer Arien, die wunderbar mit David DQ Lees Timbre als Endimione harmonieren. Julia Grüters Calisto bleibt mit dem herben Charme mädchenhafter Direktheit und unterwürfiger Schicksalsergebenheit rollenadäquat als Rädchen im großen Getriebe nach der ersten Rebellion zunehmend bescheiden im Hintergrund.
Unter der musikalischen Leitung von Barockspezialist Wolfgang Katschner, der für „La Calisto“ eine eigene, heute spielbare Partitur anfertigen musste, wird „La Calisto“ zu einem musikalischen Ereignis. Musiker der Staatsphilharmonie Nürnberg und Spezialisten auf historischen Instrumenten lassen venezianische Barockmusik in authentischer Tonalität erklingen, das bedeutet anfangs ungewohnte drehleierorgelmäßige Dynamik, die sich am Premierenabend immer tänzerischer, differenzierter und beschwingter entwickelte und im zweiten Teil eine wunderbare Balance zwischen Sängern und Instrumentalisten fand, in der die historischen Instrumente optische Effekte und lyrische Momente musikalisch subtil akzentuierten.