©Thomas Aurin
Jakop Ahlbom verwandelt Massenets Comédie héroique in fünf Akten aus der ironischen Verfremdung in ein surreales Traumgebilde, in dem sich die bekannte Geschichte vom Ritter von der traurigen Gestalt über gigantische Masken und skurrile Figuren zu einer grandiosen Geschichte mit ganz neuen unverbrauchten Bildern zusammensetzt (Bühne Katrin Bombe, Kostüme Katrin Wolfermann).
Don Quichottes Kopf nachdenklich blickend schwebt als riesegroße Maske vorbei und blickt am Schluss mit blauen. wässrigen Augen traurig in die Zuschauerreihen, als Don Quichotte in den Armen Sancho Pansas stirbt, dem er „nur“ die Insel der Träume vermachen kann. Aber Don Quichotte, umgeben hat seine Mission erfüllt. Er hat Liebe in die Welt gebracht wie im Märchen mit drei wesentlichen Eigenschaften, die ihn als Figurentrio durch alle Szenen begleiten, der hagere kopflose Mann, sozusagen ohne Rationalität, weil Gefühl und Poesie, als kugelrunder Zauberer mehr breit als hoch, die Welt verbessern, und Don Quichotte seine Ideale sofort tatkräftig ausführt, weshalb die dritte Figur überdimensioniert lange Arme hat.
So gelingt die spielerische Verdichtung vom öden Alltag in die magischen Phantasien Don Quichottes über feurige, dann melancholische Verliebtheit bis in den tragischen Tod in heldischer Verklärung.
Ein Alkoholrausch angesichts der blau schimmernder Theke? Mitnichten, adäquat zum Libretto, das etwas von Cervantes Roman abweicht, entführt die Geschichte in eine modern abgründige Parabelwelt. Kleinigkeiten werden in Don Quichottes Phantastereien zu Gigantomanien und Regisseur Jakop Ahlbom ironisiert sie gekonnt mit konträren Effekten. Die Windmühlen degradieren auf Miniformate als Tischassessoires, Käfer als Symbole für Don Quichottes Feinde vergrößern sich witzig zu gepanzerten Menschenformaten. Die für Dulcinée zurückeroberte Perlenkette reicht Don Quichotte bis zum Boden als Ausdruck seiner Ritterlichkeit, mit dem er seine Dulcinée, die ihn in zig Multiplikationen in erotischen Träumereien beherrscht, verzaubert. Sie weiß um die Bedeutung seiner Wahrheiten, und kehrt traurig in ihre Lebewelt zurück.
©Thomas Aurin
Sängerisch dominiert Clémentine Margaine als Dulcinée diese Männerwelt. Mit ihrem leidenschaftlich glühenden Mezzosopran von durchdringender Vehemenz in den Höhnen und verführerischen Tiefen und schauspielerischer Präsenz verwandelt sie Dulcinée von der unsympathischen dicken Kellnerin in eine verführerische Lebedame, die doch noch das Herz am rechten Fleck hat. Seth Carico wertet mit seinem fulminanten Tenor und seinem schauspielerischen Talent als Pferd Rosinante die Rolle des Sancho Pansa als tatkräftiger Freund a la Old Shatterhand auf. Mit Alex Esposito in der Titelrolle bleibt Don Quichotte rollenadäquat zunächst etwas im Hintergrund und steigert mit zunehmender heldischer Verliebtheit und Tragik seine sängerische Ausdruckskraft.
Der Chor setzt sängerisch und schauspielerisch temperamentvoll ironische Akzente als abgetakelte Kneipen – bzw, tanzende Partygesellschaft. Jim Förster sorgt als Akrobat für Überraschungseffekte und Conzalo Celis beschwört leicht ironisch mit Livegitarre spanische Klischees.
Die ironisch parodistische Herangehensweise wird schon während der Ouvertüre hörbar. Unter dem Dirigat Emmanuel Villaumes macht das Orchester der Deutschen Oper das 1910 modern wirkende Puzzle unterschiedlichster Musikadaptionen überaus transparent, ohne Euphorie zu vermitteln. Es darf die anklingenden Motive pathetisch schmetternd, klischeehaft präsentieren. Stumpf klingen die Kastagnetten mit wenigen Carretillas, georgelt die anklingenden Walzer. Flott eilen die Parlandopassagen dahin. Erst wenn die Arien längere Strukturen entwickeln entfaltet sich melancholischer Charme, tragisch wagnerianische Tiefe , die im letzten Akt eine berührende Emotionalität entwickelt.
Michaela Schabel