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München – Michel Houllebeqcs Roman „Elementarteilchen“ von Andreas Wiedermann spannend im Team-Theater inszeniert

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München – Michel Houllebeqcs Roman „Elementarteilchen“ von Andreas Wiedermann spannend im Team-Theater inszeniert

©Matthias Lettner

Vier weiße Sitzwürfel und drei Schauspieler:innen genügen Andreas Wiedermann, um…

Michel Houellebeqcs zweiten Roman ausgesprochen spannend und stringent auf die Bühne zu bringen. 1998 sorgte der Autor durch seine provokanten Thesen bezüglich genetischer Fortentwicklung für eine heftige Literaturdebatte. Gut 25 Jahre später ist die Thematik durch Digitalisierung und KI aktueller denn je und wirkt auf der Bühne viel eindringlicher als im Roman. 

Das liegt an Wiedermanns kluger Textreduzierung und seinem noch reduzierteren Inszenierungsstil. Im fliegenden Wechsel spielen Martin Schülke (Michel), Oliver Vilzmann (Bruno) und Simone Ascher (Annabelle, Christiane) über die vier Hauptrollen hinaus alle anderen Rollen. Abwechselnd übernehmen sie die Erzählpassagen und schaffen damit immer neue Perspektiven auf das Geschehen. In kurzen Sequenzen entwickelt sich ein flottes Stakkato über Houellebeqcs Abrechnung bezüglich Sex Feminismus, Spiritualisierung, Forschung, kapitalistischer Ausbeutung, menschlichen Wollens und Scheiterns. Im Zeitrafferformat wird deutlich, wie viel zu früh das Reich der Kindheit zerbrach und die Weichen für spätere Defizite gestellt wurden. 

Michel und Bruno sind Halbbrüder einer sexbessenen Mutter, die als Hippie im „Ort der Verwandlung“ ihre Begehrlichkeiten auslebt. Beide wachsen getrennt bei ihren Großmüttern auf. Michel ist begabt, beginnt sich mit 10 Jahren über eine Tierserie für das Gesetz des Stärkeren, für Forschung zu interessiere und wird von den Mädchen, speziell von Annabelle umschwärmt. Doch mit Erotik und Liebe kann er nichts anfangen. Er wirkt sehr gehemmt. Ganz anders Bruno, der im Internat seine Sexbegierde entdeckt. Bei seinen Annäherungsversuchen an Christiane blitzt er allerdings ab, für ihn ein traumatisches. Als sich die Brüder mit 40 Jahren wiedersehen, verbindet sich nichts als die Erinnerung an ihre ausgeflippte Mutter. Kurzfristig versuchen sie mit ihren Jugendlieben Versäumtes nachzuholen, was nur kurz gelingt, weil sich beiden Frauen wegen schweren Erkrankungen umbringen. Bruno landet in der Psychiatrie. Als Michel die Entwicklung eines geschlechtslosen Lebewesens gelingt, das sich durch Klonen fortsetzt, verschwindet er. Man vermutet Selbstmord, so Houellebecqs negative menschliche Bilanz.

Während im Roman lange theoretisierende Passagen ermüden, folgt man auf der Bühne einem überaus abwechslungsreichen Spiel zwischen rasanten Auseinandersetzungen, sexuellen Begierden, subtiler Charakterzeichnung und pantomimischer Ausdrucksweise. Der atmosphärische Soundtrack, eine Mischung aus mitreißenden Popsongs und verinnerlichenden Chansons, gibt Einblick in die psychische Verfassung der Figuren und lässt das Lebensgefühl der Hippiezeit aufleuchten. Die Optik in Schwarz-Weiß dagegen unterstreicht den laborhaften Charakter von Stück und Inszenierung, zugleich die Möglichkeit Gegensätze zusammenzubringen, wenn man davon ausgeht, dass jeder Mensch beide Seiten in sich trägt. 

Im Gegensatz zu Houellebecq, für den die Differenzierung von Mann und Frau und der mit der Fortpflanzung einhergehenden Sexualtrieb die Ursache des menschlichen Leids ist, setzt Wiedermann 50 Jahre danach darauf, dass es immer noch „Exemplare der alten Rasse“ gibt. Seine Laudatio gilt der Generation, die diese auf die Welt gebracht hat und damit verbunden dem analogen Leben. Fast zwei Spielstunden ohne Pause verfliegen wie im Nu – dank der exzellenten schauspielerischen Umsetzung, die völlig in ihren Bann zieht. 

Künstlerisches Team: Andreas Wiedermann (Dramatisierung, Inszenierung), Clemens Nicole (Sounddesign), Michaela Hofmann (Grafikdesign)