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Es war ein Schock für Boris Becker. Angeklagt wegen 40-Millionen-Schulden und verschleppter Insolvenz hoffte er,…
auf offenen Strafvollzug. Stattdessen bekam er 30 Monate Gefängnis. Nach der Gerichtsverhandlung wurde er sofort inhaftiert. Jetzt ist er da, wo er nie sein wollte. In seiner Autobiografie verarbeitet er den Abstieg vom weltweit gefeierten Tennisstar zum Häftling in zwei Londoner Haftanstalten. Kaum hatte er sich in Wandsworth etwas hochgearbeitet, wurde er nach Huntercombe, ein Gefängnis für ausländische Gefangene, verlegt. Umgeben von Mördern, Pädophilen, Drogendealern und Schleusern lernt er die Gefängnisrituale, um im Umfeld allgegenwärtiger Bedrohung zu überleben. Im Gefängnis sind zwar alle gleich, doch in der „Demokratie der Gauner“ entscheiden die persönlichen Werte und Einschätzungen über Integration, Isolation oder Malträtierung. Gleichzeitig reflektiert Becker sein vergangenes Leben als Tennisstar.
In „Boris Becker Inside“ arbeitet er diese Erlebnisse auf, wobei beide Ebenen nahtlos ineinandergreifen. Nur die kurzen Passagen aus der Tennisära und die immer wieder eingeschobenen Briefe von Becker-Fans sind zur Orientierung kursiv gedruckt. Als Leser taucht man ein in den Gefängnisalltag aus der Perspektive von Boris Becker. In der Ich-Form monologisiert er live über das Leben im Knast und in den „Zellenträumen“ über seine großen Tennis-Matches, seine Gegner und die Eskalation seiner Verschuldung, wobei sich beide Ebenen immer mehr nähern, sich die psychischen Anspannungen von einst im Gefängnisalltag widerspiegeln.
Es ist beeindruckend, wie offen Becker seine innersten Ängste, Zweifel und Hoffnungen preisgibt, wie er sich seiner Fehler bewusst wird und einen neuen Weg einschlagen will. „Gewinnen – verlieren – neu beginnen“, so der Untertitel, ist seine neue Devise. Es geht dabei nicht um Erfolg, sondern um ein authentisches Leben in der Zukunft mit seiner Freundin Lilian, ohne die dieser Wandel niemals möglich gewesen wäre.
Die Biografie oszilliert im rasanten Tempo zwischen den Glanzzeiten in Wimbledon und der desolaten Situation als Häftling A 2923EV, zwischen kämpferischer Aggression, Erfolg und Erniedrigung. Ganz unten gestrandet verändert sich sein Blick auf die eigene Vergangenheit und die Menschen im Gefängnis. In ganz kleinen Schritten gewinnt er an Akzeptanz. Er darf im Fitnessraum mitarbeiten, an Kursen in Stoizimus teilnehmen und durch das öffentliche Lob beim Wimbledon-Finale von Novak gegen Kyrgios 2022 gewinnt er im Gefängnis Ansehen und Schutz. Er arbeitet weiter an sich, beherrscht seine Gefühle und beobachtet genau. Mit Ike und Shuggy entwickelt sich „eine kleine Oase inmitten all des Wahnsinns“ von Betrug und Gewalt. Sie gehen sonntags gemeinsam zum Gottesdienst und verbringen die Freizeit miteinander. Das Vertrauen ist so groß, dass Becker sich von Ike mit scharfer Klinge an der Kehle rasieren lässt.
Das Gefängnis hatte ihn zwar eingeschlossen, aber auch geöffnet. Nicht nur er, sondern auch seine Freundin Lilian entwickeln ungewöhnliche, instinktgesteuerte Stärke. Ihre Besuche werden zu den wenigen Glücksmomenten. Ihre Recherchen über Mitinsassen warnen Becker vor betrügerischen Hilfsangeboten.
„Boris Becker Inside“ ist ein spannender, klug konzeptionierter Roman, nicht zuletzt durch den flotten, präzisen und sehr sachlichen Schreibstil von Tom Fordyce bzw. von Dieter Fuchs, dem Übersetzer aus dem Englischen. Die Autobiografie rückt das mediengesteuerte Image des einstigen Tennisstars mit Faible für Frauen zurecht und ist eine Steilvorlage für eine Imageverbesserung, obwohl sich Becker wiederholt dazu bekennt, dass er sich gerade durch die neue Unabhängigkeit von der öffentlichen Wahrnehmung sehr befreit fühlt. Er will nur, „dass die Menschen wissen, was ich durchgemacht habe“.
Boris Becker (*1967, Leimen) ist Deutschlands erfolgreichster Tennisspieler und arbeitet heute als TV-Kommentator. Mit drei Jahren bekam er vom Vater einen Tennisschläger, damit er mit seiner siebenjährigen Schwester spielen konnte. Als er mit 17 im Jahr 1985 der jüngste Wimbledonsieger wurde, begann eine Traumkarriere mit sechs Grand-Slam-Siegen, drei davon in Wimbledon. Nach seinem Rückzug als aktiver Spieler, arbeitete Becker als erfolgreicher Coach und Tennis-Kommentator. Unter seinem Training holte der serbische Weltklassespieler Novak Djokovic sechs Grand-Slam-Titel.
„Boris Becker inside“ ist ab heute im Buchhandel erhältlich.
Boris Becker, Tom Fordyce „Boris Becker Inside“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2025, 345 S.