©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
Eine blutrote Bretterbühne genügt, um das sozialrebellische Drama vom Räuber Kneißl bei den Burgenfestspielen in Landshut, Passau und Straubing in Szene zu setzen. Von der Bagage oben ignoriert, müssen…
die Armen schauen, wie sie überleben können. Mit Brotsuppe für das Volk, für den König ein Schloss bringt es Kneißls Mutter, bzw. Wolfgang Maria Bauer auf den Punkt. Er hat die Geschichte von Mathias Kneißl (1875 – 1902), dem bayerischen Robin Hood für die Bühne zündend formuliert und inszeniert, aber nicht im romantischen Sinne entlang des Räubermythos als Held der Armen, sondern entlang der recherchierten Fakten. Als auf Kneißl Kopfgeld ausgesetzt wurde, verlor er den Schutz durch die Armen.
Bauer beginnt mit dem Ende. Kneißl wird hingerichtet kurz vor der Abschaffung der Todesstrafe, weil er, wenn auch unabsichtlich, zwei Polizisten erschoss. Bühnenbreit senkt sich das gigantische Fallbeil der Guillotine. Der Henker ist begeistert vom schnellen Schnitt, das Publikum überrascht vom krassen Spiel, brachialen Bayrisch, von poetischen Momenten und mitreißenden Songs von „Dreiviertelblut“.
Es ist weder ein Volksstück noch eine typisierte Parodie noch eine Musicaladaption, sondern alles zusammen. Raffiniert kombiniert Bauer bodenständige Urigkeit, groteske Übertreibungen, expressiven Minimalismus und tänzerisch, musikalischen Drive. Aus der Retrospektive beleuchtet er Kneißls Werdegang aus unterschiedlichen Perspektiven, nicht als schlichte Chronologie, sondern vor allem im ersten Teil bis zur Pause als spannendes, simultanes Wechselspiel, in der das Ensemble, von Kneißl und seiner Mutter abgesehen, im fliegenden Wechsel viele, sehr verschiedene Rollen übernimmt. In Kapuzenkutten turmartig positioniert signalisieren die Vertreter der Gerichtsbarkeit immer wieder inquisitionelle Unerbittlichkeit, die Szenen dazwischen erhellen, warum der Kneißl war, wie er war.
Diese sprunghafte Szenencollage ermöglicht den Blick auf die Diskrepanzen von Arm und Reich, Unten und Oben und die Rebellion gegen die Macht, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Während der Barbier Kneißl die Haare schneidet und das Urteil aus der Sicht des Pragmatikers kommentiert, betet ein Kaplan das Ave-Marie in sonorer Rosenkranzakustik, verhandelt die Mutter, sehr authentisch von Antonia Reidel gespielt, auf der Prantlwiese mit den Sargträgern über die Leiche ihres Sohnes zwecks Bestattung statt Anatomie. Der Stammtisch wird zur Gerüchteküche, „Habt’s scho g’hert?“ Faktum ist das ausgeschriebene Kopfgeld von 400 Mark, dass sich später noch bis 1000 Mark erhöht. Bei der Summe findet Kneißl keinen Schutz mehr. Dazwischen leuchtet in den Liebesszenen die charismatische Persönlichkeit Kneißls auf, dessen feschem und schneidigem Auftreten die Frauen nicht widerstehen können. Mathilde (Katharina Plank) will mit ihm nach Amerika, Schwoofmarie (Larissa Sophia Farr) als seine Geliebte soziale Anerkennung. Ihn selbst, von Ferdinand Maurer sehr überzeugend interpretiert, interessieren weniger die Frauen als die Sinnlichkeit. Bauers Kneißl nimmt sich vom Leben, was er haben kann und durchschaut genau die Machtverhältnisse. „Ich mach euch den Kampf gegen oben, und ihr lasst mich fürs Essen zahlen.“
Nach der Pause wird das Spiel ernster. Hineingeboren in eine kriminelle Hehlerfamilie hatte Kneißl keine Chance auf bürgerliche Sozialisation. Er kann sich zwar seine Frauen schnitzen, aber nicht sein Leben. Schon als Kind brachte die Mutter ihm und seinem Bruder das Flaschenschießen vom Kopf der Schwester bei. Das Schießen wird zur Notwehr infolge des Drucks von oben. Dabei avanciert Kneißl zum Hoffnungsträger der kleinen Leute. Und trotzdem wurde ihm nach fast 6 Jahren Zuchthaus in jungen Jahren, obwohl er ein guter Schreiner war, wiederholt gekündigt, zu schlecht war sein Ruf. So kehrte er ins kriminelle Metier zurück.
Kneißl ist ein Loser, kein Held, ist die Gegenthese, was Bauer unterstreicht, indem er ihm textlich die Einsicht unterlegt, dass er zwei Männer erschossen und damit neun Kinder zu Halbwaisen gemacht hat. Was Kneißl angerichtet hat, unterstreicht Bauer durch Randpersonen, wobei sehr konträre Perspektiven deutlich werden. Den Stationskommandanten Gößwein schoss Kneißl zum Krüppel im Rollstuhl mit einer „fetten Pension“, was diesem allerdings lieber war, als das Leben davor. Was die Machtträger Kneißl angetan haben, gipfelt in einer grotesken Szene mit der Verweigerung des Gnadengesuchs durch den Prinzregenten auf der Toilette, wobei nur der wackelnde Federbusch beim Unterschreiben und der völlig devote, um 90 Grad gewinkelte Diener zu sehen sind.
Durch das spielfreudige und gesangsbegabte Ensemble, nicht zuletzt durch die expressive Maske (Christian S. Kurtenbach), die atmosphärische Geräuschkulisse und die gecoverten Songs (Martin Kubetz) gelingt eine ausgesprochen starke, multiperspektivische Inszenierung,
Künstlerisches Team: Wolfgang Maria Bauer (Regie), Aylin Kaip (Bühne), Ines Schmiedt (Kostüme), Martin Kubetz & Julian Schwarz (Musikalisches Arrangement), Peter Oberdorf (Dramaturgie), Leon Kaunzinger (Statisterie)
Mit: Ferdinand Maurer (Matthias Kneißl), Antonia Reidel (Pascolini Res) in den Hauptrollen und in Mehrfachbesetzung Katharina Plank, Paula-Maria Kirschner, Reinhard Peer, Larissa Sophia Farr, Benedikt Schulz, Paul Behrens, Joachim Vollrath, Stefan Sieh, Julian Schwarz