©Uwe Stratmann
Die Bühne als Ballsaal mit ein paar alten Damen und Herren, zunächst solistisch, dann in Paaren oder alle zusammen, gespiegelt doppelt so groß durch Videoaufnahmen von einst, das ist gewöhnungsbedürftig entwickelt aber…
eine ungewöhnliche Spannung zwischen der ursprünglichen Choreografie von 1978 auf der Basis von Archivaufnahmen und der Reanimation des Originals durch die australische Tänzerin und Choreografin Meryl Tankard mit neun von den ursprünglich 20 TänzerInnen.
„Kontakthof“ zählt zu den Schlüsselwerken Pina Bauschs am Anfang ihrer großen Karriere. Sie fragte sich selbst oft, wie das Stück in Originalbesetzung viele Jahre später wirken würde.
Jetzt sind die einstigen ProtagonistInnen über 70 Jahre als, der Älteste 80 und es gelingt Choreografin Tankard in „Kontakthof – Heroes ’78“, Premiere 2024 in Wuppertal, die einstige Ballhausatmosphäre in ambivalenten Szenen zwischen Sehnsucht und Frustration, ersten Zärtlichkeiten und testosterongesteuerten Übergrifflichkeiten, Annäherung und Aggression von jungen Menschen auf die Vereinsamung, aber auch die Lebensfreude alter Menschen zu lenken. Sie präsentieren selbstbewusst ihre Körper, durchschreiten den Ballsaal diagonal in immer gleichen Schrittfolgen. Vorwiegend untermalt mit alten Tangos, schmalzigen Walzern und durch die wehenden Gewänder der Damen weitet sich das Setting auf der dokumentarischen Ebene bis in die 1920er Jahre aus. Erinnerung und Gegenwart verschmelzen, entwickeln einen spannenden Dialog über Frau-Mann-Beziehungen.
Eine kurze Statementsrunde vor der Pause, macht bewusst, wie sehr sich das Leben dieser neun TänzerInnen verändert hat. Beatrix Libomati gesteht: „Ich bin paranoid und misanthrop.“ Ed Kortlandt scherzt: „Meine Frau kocht, ich esse.“ Tankard freut sich mit „einem solchen Körper“ gesegnet zu sein, was sie nach der Pause mit einer beeindruckender Synchronität vor dem im Bühnenhintergrund abgespielten Original beweist. Für eine kurze Sequenz tanzen fast alle mit, nur einer spielt lieber live am Klavier. Elegant schleusen sie sich nacheinander aus. Tankard hält strahlend durch. Bewundernswert und menschlich berührend.
Mit „Kontakthof – Echoes of ’78“ hat Salomon Bausch für seine Mutter und deren Tanzphilosophie eine wunderbare Hommage angeregt, die genau um das kreist, was ihr wichtig war und womit sie den Tanz revolutionierte, eben nicht durch die Ästhetik des schönen Scheins und perfekte Technik, sondern auch unter Einbindung von Laien aus alltäglichen Bewegungen die Entwicklung einer ganz speziellen Tanzsprache, womit Pina Bausch gesellschaftliche Tabus mit Humor, Feingefühl, aber auch mit Vehemenz und großer Eindringlichkeit auf die Bühne brachte.
Künstlerisches Team: Meryl Tankard (Konzeption, Inszenierung, Konzeption Video), Kenny Ang (Video-Schnitt), YeastCulture (Design)-Projektionen) RyanJoseph Stafford (Lichtdesign)
Mit: TänzerInnen der Originalbesetzung von Pina Bauschs „Kontakthof“, Elisabeth Clarke, Josephine Ann Endicott, Lutz Förster, John Giffin, Ed Kortlandt, Beatrice Libonati, Anne Martin, Arthur Rosenfeld, Meryl Tankard