Gleichzeitig ergeben sich durch die literarische Vorlage für das Libretto, Oscar Wildes Märchen „The Birthday of the Infanta“ (1922), Parallelen zu Zemlinskys unglücklicher Liebe zu Alma Schindler. Der Clou ist, dass Donald Runnicle und Tobias Kratzer diese autobiografische Ebene im „Zwerg“ mit Arnold Schönbergs „Lichtspielscene für Orchester op. 34“, gedacht als Ausdruck für „Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe“ dem „Zwerg“ als eigenständigen Prolog als historisches Kontrastprogramm voranstellen,
In einem schlichten Salon der 20er Jahre, schwarz-weiß verfremdet, wird die Liebe zwischen Zemlinsky und seiner Schülerin Alma Schindler in einer 9-minütigen Stummfilmsequenz verdichtet. Evgeny Nikiforov und Adelle Eslinger brillieren nicht nur am Flügel, sondern auch mit parodistischem Talent. Sie entflammt ihn mit ihren üppigen Reizen in aufreizend roter Robe und verwandelt sich zur arroganten Madame, deren Fußtritt ihn zu einem Häuflein Elend zusammenschrumpfen lässt.
Der Blick auf die minimierte Guckkastenbühne mit ihrer parodistischen Liebesschmonzette weitet sich im „Zwerg“ zur großflächigen Chiffre auseinander klaffender Eigen- und Fremdwahrnehmung im weiß gestylten Umfeld einer auf oberflächliche Schönheit fixierten Gesellschaft, deren Manager Don Esteban (Philipp Jekal) verzweifelt um die Erhaltung der Regeln kämpft. „Die Zeremonie ist heilig“, um dann letztendlich in den Hain der Marmorbüsten und Orgelpfeifen, bühnentechnische Anspielungen auf Walhalla und Elbphilharmonie, in die höchsten Weihestätten der Kunst einzuziehen (Bühne, Kostüme: Rainer Sellmaier).
Die Originalität der Inszenierung liegt aber in der Doppelbesetzung der Titelrolle. Mick Morris Mehnert, 1,33 m groß, übernimmt den schauspielerischen Part, sein sängerisches Alter Ego inklusive der falschen Eigenwahrnehmung Tenor David Butt Philipp, wodurch die polaren Wahrnehmungsebenen ständig in bizarr unterschiedlichen Größenverhältnissen deutlich werden.
Dazwischen agiert Elena Tsallagova im kupferfarbenen Glitzerkleid als verwöhnte Prinzessin, eine Girly-Zicke, die den Zwerg, ein Geburtstagsgeschenk des Sultans, von Anfang an nur als Spaßobjekt und Tier begreift, sein sängerisches Talent bewundert und sich in der Verliebtheit des Zwerges sonnt, der naiv ihre koketten Blicke als erwiderte Liebe deutet.
David Butt Philipp gibt dem Zwerg eine zauberhafte Stimme, vom Orchester wunderbar nuanciert untermalt. Als die Prinzessin ihr Geschenk als „Das Schönste ist scheußlich“ deklariert, wird dieser Satz zum Sinnbild ihrer selbst und der Gesellschaft, die sie repräsentiert.
Das Geburtstagsständchen, mit Musikern und Statisten live auf der Bühne artet in ein Schlachtfeld aus, in dem Instrumente zerstört und die Büsten von den Sockeln gestürzt werden.
©Monika Ritterhaus
Die Prinzessin verduftet sich mit ihren Fans zur Party. Ihre Lieblingszofe (Emily Magee) soll den Zwerg mit seinem realen Konterfei konfrontieren. Vor einer bühnengroßen Spiegelwand erkennt der Zwerg seine „Blindheit vor sich selbst“ und bricht zusammen. Herzlos zersticht die Prinzessin den pinkfarbenen Luftballon, Symbol dieser Liebesillusion und dieser oberflächlichen Scheinwelt, der die Luft so schnell ausgeht.
Die Inszenierung besticht in jeder Sequenz durch die sängerische und schauspielerische Verdichtung, ist als Einakter von derartiger Intensität, dass die Oper entgegen der bisherigen Rezeption in Kombination mit einer zweiten, durchaus einen nachhaltigen Eindruck als Einzelwerk hinterlässt. Jede Rolle ist bestens besetzt und in mitreißender Klangqualität zu hören. Unter dem resoluten, gleichzeitig sehr empathischen Dirigat Donald Runnicles entfaltet Zemlinskys Oper einen vielschichtigen Klangteppich zwischen spätromantischem Wohlklang, schräger Abgründigkeit und wagnerianischer Brachialität, in dem alle Nuancen ihre besondere Atmosphäre entwickeln, Sänger und Musiker wohldosiert die Harmonien, emotionalen Polaritäten der Figuren ausloten, Musik zur Hymne an die Schönheit wird. Als Hommage, gleichsam als Wiederentdeckung wird Alexander Zemlinskys Büste, der verfemte Komponist , im Schlussbild wieder positioniert gleichsam als Appell diesem Komponisten wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken.