Der erste Akt ist wie ein musikalisches Wimmelbild, in dem Puccini die verschiedensten Musikrichtungen miteinander innovativ verwebt. Wagner, Debussy, Richard Strauss, Filmmusik werden hörbar. Jazz und Ragtime klingen an, ohne die Oper zu amerikanisieren, was ihm von USA-Seite angelastet wurde. Doch im Heimweh der Goldsucher, vor allem in den großen Gefühlsmomenten schlägt italienische Melodiösität in Puccini-Art durch und steigert sich im zweiten und dritten Akt debussyorientiert zur impressionistischen hochdramatischen feurigen Liebesoper im kalten Schneegestöber mit hoffnungsvoller Perspektive auf einen Lebensanfang.
Mit Anja Kampe, ihrer sängerischen und schauspielerisch überwältigender Expression wird Minnie zur grandiosen Opernpartie und Opernfigur. Als einzige Frau in der Kneipe umgeben von einer rauen Männerwelt ist Minnie Kumpel mit größter Autorität. Wie eine Mutter und Schwester hält sie die rauflustigen Draufgänger am Rande des sozialen Abgrunds wie ein Leuchtstern in der Nacht zusammen. Sie lässt sich auf keinen ein, ist für alle da, eine selbstbestimmte, selbstbewusste und reflektierte Frau, die so lebt, wie es ihr gefällt, vor nichts Angst hat und sich wacker der ersten Liebe stellt.
©Wilfried Hösl
Der erste Kuss ist die Wende von der rational funktionierenden zur liebenden, aber immer noch pragmatisch handelnden und analysierenden Frau. Zwischen dem Sheriff, einem Spieler, dem Banditen und sich selbst als Kneipenbesitzerin sieht sie keinen Unterschied. Sie pokert mit dem eifersüchtigen Sheriff, der sie ebenfalls begehrt, um das Leben des schwer verletzten Banditen, wenig später ein zweites Mal durch ihre aufrichtige Botschaft von der Kraft der Liebe vor der Lynchjustiz der Kumpels.
Regisseur Andreas Dresen verzichtet auf das üblichen Italo-Klischees, reduziert in Kooperation mit Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau auf metaphorische Bilder mit sinnlicher Verdichtung, in denen die Figuren in ihrer Ambivalenz durch eine präzise dynamische Personenregie bestens adäquat zur Musik bestens zur Wirkung. Beide Männerrollen, fulminant besetzt, oszillieren zwischen männlicher Tollkühnheit und echten Gefühlen, Schurke und Ehrenmann. John Lundgren entdeckt durch seinen balsamischen Bariton unter der rauen Schale und sexuellen Begierde des Sheriffs dessen echt empfundenes Liebesleid und Tenor Brando Jovanovich kristallisiert im raffiniert taktierenden Banditen einen durchaus liebenswerten Gentleman heraus.
Unter James Gaffigans Dirigat darf die Bayerische Staatsoper als Kontrast zu den lyrischen Momenten infernalisch in bombastischer Dynamik toben. Selbst die mächtigsten Stimmen, verschwinden bewusst im orchestralem Fortissimo, um sich dann doch wieder fulminant durchzusetzen, a capella zu berühren, was den Hörgenuss der lyrischen Passagen umso mehr intensiviert,
Michaela Schabel