"Kultur macht glücklich"


Berlin – „Young Euro Classic“ feiert 25-jähriges Jubiläum – ein Highlight ist die „Nationale Jugendphilharmonie der Türkei“ 

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Berlin – „Young Euro Classic“ feiert 25-jähriges Jubiläum – ein Highlight ist die „Nationale Jugendphilharmonie der Türkei“ 

Ursprünglich konzipiert, um das kulturelle Sommerloch in Berlin zu stopfen und die im Jahr 2000 herrschende Europa-Euphorie in Projekte umzusetzen, entwickelte sich das Musikfestival „Young Euro Classic“ zum Publikumsmagnet. Hinter dem etwas schrägen, ökonomisch wirkenden Label  kommt Großartiges weit über die Grenzen von Europa hinaus zur Wirkung. Ausgewählt werden Jugend-Ensembles, die sich mit der europäischen Klassik auseinandersetzen und gleichzeitig ihre Heimatmusik einbringen…

Nach dem fulminanten Eröffnungskonzert des „Joven Orquestra Portuguesa“ glänzte am zweiten Tag die „Nationale Jugendphilharmonie der Türkei“, den Besuchern des Berliner Konzerthauses durch seine zahlreichen Auftritte bekannt…

©Michaela Schabel

Mit einem spannenden, sich mit jedem Stück steigernden Programm begeisterte die „Nationale Jugendphilharmonie der Türkei“ unter der  Leitung von Cem Mansur das Publikum. 2007 gründete er das Ensemble, als „Laboratorium der Demokratie“, wo über die intensive musikalische Arbeit hinaus die Prinzipien von Koexistenz, Leadership, Selbstrespekt und Verantwortung gelebt werden.

Selbst sehr ruhig, präzise und konzentriert gibt Mansur den jungen MusikerInnen im Alter von 16 bis 22 Jahren Raum mit kammerspielartigem Bewegungsduktus zu spielen und die Spannungsbogen zwischen extremen Pianissimi und Fortissimi entsprechend der Programmauswahl auszuloten und temperamentvoll zu interpretieren. Die chromatischen Linien von den ViolinistInnen hauchzart intoniert signalisierte schon der erste Auszug „Romeo allein“ aus Hector Berlioz‘ dramatischer Symphonie von „Roméo und Juliette“ (1839) das hohe Niveau dieses Ensembles und seiner SolistInnen. Berührend machte das Oboensolo die „Traurigkeit Roméos“ erlebbar. Umso wirkungsvoller war das Anschwellen zum lebhaften Tutti für das „Große Fest der Capulets“, in das Posaunen und Pauken wuchtige Akzente als Vorboten der Tragödie setzten.

In 24 Variationen beleuchtet Sergei Rachmaninow in seiner „Rhapsodie über ein Thema von Paganini a-Moll für Klavier und Orchester“ (1934) dessen Geigensolo, das ständig zwischen Orchester und Klaviersoli alterniert. Rachmaninow beginnt mit der ersten Variation, dann erst stellen die Streicher das Hauptthema vor. So rückt  Cem Babacan (*1988), einer der erfolgreichsten Pianisten der Türkei, gleich zu Beginn in den Mittelpunkt. Er weiß um sein Können, machte das Geschehen am Flügel zum akustischen und optischen Erlebnis, das Schweißtuch immer griffbereit. Orchester und Soli dialogisierten nahtlos, schwangen energetisch hin und her, wobei Babacan durch seinen klaren Anschlag, seine Läufe über die ganze Klaviatur und sonore Intonationen selbst die orchestralen Forti klangschön durchdrang. Das Publikum jubelte, noch mehr nach einer kurzen Zugabe, deren Tempo und Temperament einem Erdbeben glich. 

„Young Euro Classic mit „Nationaler Jugendphilharmonie der Türkei“  präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Michaela Schabel

Nach der Pause setzte die deutsche Erstaufführung von Ege Gürs (*1998) „the image of that which is invisible“(2023/24) innovative Akzente. Cem Mansur hatte den türkischen Erfolgskomponisten gebeten für den „Young Euro Classic“ ein neues Werk in Erinnerung an die Erdbebenkatastrophe von 2023 zu schreiben. Weiß man diesen Kontext nicht, würde man die Komposition eher einem Science Fiction Film zuordnen, kennt man ihn, vertieft sich der Krieg im Kosmos zur Metapher menschlicher Vergänglichkeit. Mit Ege Gür am Dirigentenpult verwandelte sich das Klassik-Orchester in ein Filmmusik-Ensemble erster Klasse. Rollende Töne, schrilles Klirren, sphärische Walzen, ganz feine Tonlinien fusionierten zu einem flächenhaft dystophen Klangteppich, den die Perkussionisten mit Blech und Becken malträtierten, bis immer leiser der letzte Tonimpuls verlosch. Als Metapher für Sterben durch Verstummen offerierte sich die Komposition als beeindruckendes Erinnerungswerk. 

Zum Abschluss leuchtete 100 Jahre nach Berlioz über Sergej Prokofjews Suiten I und II seiner mitreißenden Ballettmusik (1938) das Romeo-und-Julia-Motiv noch einmal auf. Mansur fügte eine Nummer der ersten Suite in die zweite ein, um Julias Stimmungswechsel zwischen fröhlicher Ausgelassenheit und sehnsuchtsvoller Melancholie zu unterstreichen und den bewusst traditionellen Teil mit einer schwebender Rätselhaftigkeit im zweiten zu kontrastieren, wobei lyrische Streicher und wuchtiges Blech Liebe und Tod dramatisch aufeinander stießen und eine Oboe die Erlösung vom Irdischen vermittelte. 

Mit zwei Zugaben, eine irrsinnig schnell, die andere sehr lyrisch beglückte die „Nationale Jugendphilharmonie der Türkei“ das Publikum. Die Auftritte dieses Ensembles sollte man sich nicht entgehen lassen.

Bis zum 25. August steht täglich ein abendfüllendes Konzert auf dem Programm, flankiert von zwei weiteren interessanten Formaten, 

  • „Next Generation – Young Euro Classic Kindertag“ zum Mithören und Mitmachen für Kinder ab drei oder fünf Jahren am Sonntag, 18. August 
  • „Festival im Festival – re:play – Freiheit der Töne“, MusikerInnen aus Schottland, Iran, Turkmenistan, Indien, Mongolei und China lassen in kleiner Besetzung klassische Musik ihrer Heimat in Berlin erklingen