©Gluck-Festspiele Bayreuth, Beth Chalmers
Konzertante Schlichtheit peppte Michael Hofstetter mit einem moderierten Libretto und ausgefeilten Beleuchtungskonzept auf. Zwischen den 25 betörenden Koloraturarien erzählte Thorsten Danner in einem Wohnzimmersessel mit Stehlampe immer auf der Bühne präsent die einzelnen Handlungsschritte, so dass jeder auch ohne Übertitelung wusste, worum es geht. Die Emotionalität der sechs Figuren unterstrich Michael Hofstetter symbolisch und sehr atmosphärisch durch wechselnde Farbausleuchtungen der Barockbühne. Dadurch rückte die Musik in den Mittelpunkt. Gleichzeitig wurde Glucks innovatives Opernschaffen deutlich. Es gibt etliche „Clemenza di Tito“-Opern. Die Basis bildete immer Pietro Metastasios Libretto (1734), eine Steilvorlage für Huldigungsopern. Das Besondere an Glucks Version, die er zur Namensfeier König Karls III. 1752 komponierte, ist, dass er sie „von gänzlich verschiedenem und noch nie gehörtem Stil“ schreiben sollte. Zwar bleiben noch die Secco-Rezitative, doch die virtuosen Koloraturarien sind nicht nur Selbstzweck, sondern geben schon etwas Einblick in die wechselnden Emotionen der Figuren. Mit einem vor der Pause hinzugefügten Terzett aus Glucks „Iphigenie auf Tauris“, das dieser aus seiner Sesto-Arie weiterentwickelte, lässt Michael Hofstetter die Zuschauer erleben, wie Gluck durch Ensemblestücke und mehr Orchesterklang die Oper reformierte.
Die Geschichte dieser Opera seria ist relativ überschaubar. Vitellias Intrigen provozieren „La Clemenza di Tito“. Als Tochter des früheren römischen Imperators sieht sie sich durch den neuen Imperator Titus um ihre Herrschaftsansprüche gebracht. Er will nicht sie heiraten, sondern Servilia, die liebt aber Annio. Vitellia benutzt den jungen Sesto, der ihr verfallen ist, um Titus zu töten. Dieser überlebt und verzeiht. Die Liebespaare finden sich.
Durch großartigen, sehr unterschiedlichen Timbres, vom Orchester subtil, überaus dynamisch, stellenweise sehr flott untermalt wurde jede der überaus komplexen Koloraturarien zum Highlight.
Vitellia ist durch das Spannungsfeld ihrer Gefühle die schillerndste Figur. Vor rot leuchtendem Hintergrund wird Vanessa Waldhart in dieser Rolle zum Puls der Inszenierung. Markant kristallisiert sie stimmlich und auch gestisch Vitellias Facetten zwischen Machtanspruch, Verführung, Intrige, Einsicht und Wahrhaftigkeit heraus. Blitzschnell weiß sie die unterschiedlichsten Gefühle zu intonieren und Sesto zu manipulieren. In der Arie „Come potesti, oh Dio!“ werden innere Gefühlsstürme hörbar. Ihr Duett mit der Oboe lässt bereits die Wahnsinnsarien der Romantik assoziieren.
Ein Novum ist, dass zum ersten Mal die Partie Sestos wieder mit einem Sopranisten besetzt wurde. Bruno de Sá interpretiert ihn brillant. Violett, die Mischfarbe der Demut, signalisiert das Hin- und Hergerissensein zwischen seiner Liebe zu Vitellia und der freundschaftlichen Treue zu Titus. Die emotionale Achterbahn lotet Bruno de Sá mit extremer Stimmdynamik aus, fortissimo, bewusst schrill zugespitzt im Schmerz über sein Handeln, in irren Höhen, pianissimo in seiner Liebessehnsucht.
Im Vergleich zu diesen beiden hochdramatischen Partie wirken alle anderen wesentlich gelassener. Sehr klangschön und empathisch interpretiert Robyn Allegra Parton Servilia, Maria Hegele deren Liebsten Annio. Mit ihrer klaren, resoluten Stimme überzeugt Hannah-Theres Weigl als Publio.
Vom facettenreichen Klangkosmos hebt sich Aco Bišćević majestätisch durch sein besonderes Timbre ab. Wenn er auftritt, erscheint die Szenerie vergoldet. So sollte es sein, wenn Humanität sich durchsetzt.
©Gluck-Festspiele Bayreuth, Beth Chalmers
In der Praxis sieht dies oft anders aus. Trotz der strahlenden Aufführung bleibt an diesem Opernabend ein Wermutstropfen in der Erinnerung. Dass Benediktinerpater Pater Anselm Grün, eingeladen die Festrede „Über die Menschlichkeit der Mächtigen“ zu halten, mehrmals ausgebuht wurde, beweist einmal mehr die Verrohung und Respektlosigkeit in unserer Gesellschaft. Man gibt sich als Kunstliebhaber, jubelt über das Opernereignis, lässt aber den anderen nicht einmal aussprechen. Und die Unsitte mitten in der Vorstellung zu fotografieren, greift ebenfalls um sich.
Künstlerisches Team: Michael Hofstetter (Musikalische Leitung), Bettina Bartz (Dramaturgische Begleitung)
Mit: Aco Bišćvević (Titus), Bruno de Sá (Sesto), Vanessa Waldhart (Vitellia), Robyn Allegra Parton (Servilia), Hannah-Theres Weigl (Publio), Maria Hegele (Annio), Thorsten Danner (Sprecher) und dem Barockorchester der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach