©Ferdinand von Schirach, Peter Rigaud
Vom Regen durchnässt kommt Schirach vom Rauchen zur Schriftstellerei, zur Einsamkeit, Schuld- und Sinnfrage des Lebens und schließlich zum Nach-Hause-Kommen inklusive Tod, Themen, die ihn immer wieder beschäftigen und die er aus seiner ganz persönlichen Sicht reflektiert, ohne sie zu beurteilen, nur allgemein kommentiert. „Menschen wollen immer das sein, was sie nicht sind.“
Dieses Mal wählt er als Rahmenhandlung, dass er, als ehemaliger Rechtsanwalt Schöffe werden soll. Es graut ihm vor diesem Ehrenamt, das „kein demokratischer Prozess“ ist. Aufgrund ganz unterschiedlicher Bildungshintergründe erfolgen fragwürdige Interpretationen und Urteile, was Schirach ganz unterschiedliche Unsinnigkeiten unseres Lebensstils assoziieren lässt, vom Phantom der Vorstellung, alle Menschen seien gleich bis zur Pareto-Regel, nach der in allem Tun nur 20 % der eingesetzten Energie wirksam wird, oder umgekehrt, dass 80 % von allem, was wir machen, Schrott ist, womit er die Lacher auf seiner Seite hat, vor allem durch seine parodistische Urlaubsbeschreibung. Urlaub auf weißen Stränden, die nichts anderes als eine Fischkloake sind, mit schlechter Ferienlektüre und Hautkrebsförderung ist ihm ein absoluter Horror. Die narzisstische Darstellung von Nacktheit selbst eines exzellenten Schauspielers wie Lars Eidinger hinterfragt er ironisch. „Ist nicht jedes dahergelaufene Reh schöner.“ Schirach weiß zu unterhalten. Jede seiner drei abstrusen Geschichten über Penismythen provoziert zum Lachen.
Statt Party zu feiern genießt Schirach in Athen lieber von der Terrasse des Grande Bretagne den Blick auf das Pantheon, das ihn über verlorengegangene Ambivalenz von einst und heutigen monotonen Funktionalismus reflektieren lässt. Wenn eine attraktive Dame das gleiche macht, werden Erinnerungen wach, rückt die Bedeutung der Seelenverwandtschaft final in den Mittelpunkt. Wenn der Mensch sich im anderen Menschen spiegelt, ist ein Nach-Hause-Kommen möglich. „Alles Finden ist ein Wiederfinden“, woraus Schirach letztendlich die Kraft schöpft zu schreiben.
Der zweite Teil von „Regen“, ein Interview, das Schirach mit Sven Michaelsen für das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ 2022 unter dem Titel führte „Es gibt wohl eine Begabung zum Glück – ich habe sie nicht“ passt hier nicht ins Konzept und bleibt zu Recht ausgespart. Dafür reagiert Schirach auf die Potsdamer Ereignisse. Nahtlos baut er dafür eine Anekdote aus der Lesung in Dessau ein, wo die qualmende Zigarette ein erbostes „Lassen Sie das!“ im Publikum auslöste „mit einer Stimme wie Weidel oder wie Scholz, aber die kennt ja keiner.“ Die Pointe und die folgende Stellungnahme gegen Rassimus funkte. Heftiger Szenenbeifall. Wohlwollenden Applaus gab es für den 100-minütigen Monolog, der mit bis zu 73 € allerdings sehr überteuert ist.
Ferdinand von Schirach „Regen – Eine Liebeserklärung“, Luchterhand Verlag, München 2023, S. 108