©Marco da Silva Ferreira, Foto: Jose Caldeira
Was ist die treibende Kraft eines kollektiven Körpers? Wie kann Folklore heutzutage auf Tanzflächen aussehen? Und wie verändern sich Traditionen im Zusammenhang mit Kolonialismus? Das sind die Fragen, die den portugiesischen Choreografen Marco da Silva Ferreira bewegen, womit er genau die gedankliche Konzeption des diesjährigen Festivals mit Blick auf die multikulturelle Vielfalt des Tanzes in seiner gesellschaftlichen Bedeutung auf den Punkt bringt. „Carcaça“ erzählt vom Leid der Menschen, von Unterdrückung und von der Befreiung durch das Kollektiv, deutet die Schönheit traditioneller Kulturen an und die gesellschaftlich bedingten Veränderungsdynamiken.
Eine Tänzerin wird zur Jägerin, bekommt in der Gruppe wesentlich mehr Strahlkraft. Aneinander auf dem Boden verschlungen als Menschenkette über die Bühne robbend, sich erhebend verkörpert das Ensemble die Energie im Untergrund, die Durchsetzungskraft entwickeln kann, wenn man sich einig ist, wobei das Ausscheren des Einzelnen kurzfristig immer wieder energetisch aufleuchtet, um dann durch erneute Integration und neue Impulse die Kraft der Gruppe zu intensivieren.
Dabei offeriert das Ensemble in hautengen, schwarzen Cut-out-Trikots, später durch ethnisch gemusterte weite Röcke dynamisch intensiviert einen mitreißenden Tanzstil.
©Marco da Silva Ferreira, Foto: Jose Caldeira
Indigene Fußtechniken fusionieren mit Streetdancetechniken kombiniert mit expressiven Armwinkelungen, extremen Diagonaldehnungen, wilden Drehungen, wobei sich die TänzerInnen durch die Rotation der Röcke regelrecht zu Geschossen verwandeln. Immer mehr verstärkt sich die Basisdynamik, das ständige Wippen zwischen Außen- und Innenkante der Füße und entwickelt im präzisen Timing zur Trommelperkussion revolutionäre Strahlkraft, die in einem Klassenkampf kulminiert, als rote Tücher mit erhobenen Armen gespannt die Unterdrückung und Ausbeutung der Menschen deutlich machen und sich als Oval plakativ zu einem sprechenden Mund formieren, deren gesellschaftsrevolutionäre Botschaften, damit sie auch jeder versteht, bühnengroß projiziert werden. Das wirkt zwar etwas arg oberlehrerhaft, beeinträchtigt aber die tänzerische Leistung in keinster Weise. Mit frenetischen Standing Ovations honorierte das Publikum zu Recht dieses außerordentliche Tanzstück, zumal wegen Krankheit eines Tänzers noch kurz vor der Premiere die Choreografie umgeändert werden musste. Auch Marco da Silva Ferreira konnte wegen Krankheit nicht präsent sein. Aber seine Choreografie hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.