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Berlin – Komische Oper Bernsteins Operette „Candide“

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Berlin – Komische Oper Bernsteins Operette „Candide“

Kostüme, Tanz, sängerische und schauspielerische Leistung verdichten sich in immer neuen Varianten in „die beste aller möglichen Welten“, um sie in spielerischer Ironie zu erschüttern.

Candide (Paul Curievici), unehelicher Cousin, wächst privilegiert in Adelskreisen, wird von seinem Lehrer Pangloss (Franz Hawlata) in optimistischer Sicht über das Leben in der „besten aller Welten“ unterrichtet und vom Leben selbst mit dem Gegenteil konfrontiert. Wegen einer Amour mit Kunigunde (Meechot Marrera), der Tochter des Hauses, wird Candide, aus dem Schloss verjagt, verdingt sich in Bulgarien als Soldat, reist durch Europa, findet durch eine alte Frau (Frederike Brillembourg) Kunigunde wieder. Sie reisen nach Buenos Aires, gehen getrennte Wege und finden sich wieder in Venedig. Doch die Liebe ist in dieser Inszenierung erloschen. Kunigunde, vergewaltigt, ausgebeutet ist  von der Edelgeliebten zur Straßenhure und Diebin verkommen kann nicht mehr fühlen, nur noch schweigen. In Hell-Dunkel-Kontrasten vergehen die Tage in völliger Stille und karikieren das Anfangsmotiv „die Liebe ist in der besten aller Welten nicht schwer“. Candide, zwischen bettelarm und superreich, hat noch so viel Vermögen, mit Kunigunde und wenigen Freunden „die beste aller Welten“ in der Hinwendung zur Natur und im ökologischen Landbau zu finden.

Das ist großes Epos, eine Fundgrube für  Barrie Kosky extravagant schmissige Szenen zu kreieren, die Franz Hawlata als Voltaire mit erzählerischer Leichtigkeit verbindet.  Statt zu reduzieren, fügt Barrie Kosby noch dazu. Er lässt in Candides Reise von der alten in die neue Welt die Probleme der globalisierte Gegenwart aufleuchten, bei der Überfahrt in die neue Welt in Schlauchbooten und Schwimmwesten  die Flüchtlingsdramatik,  beim Rückzug statt auf idyllische Alm unter der Weltkugel mit globalen Anspruch. Im Kostümmix aus Dirndln und Lederhosen, Mini-Reifröcken und Gamaschen spiegeln sich heile Scheinwelten Epochen übergreifend. Herrlich grotesk begnadigt der bulgarische König auf Imagereise Candide als Fahnenflüchtigen. Hoch auf dem Henkergerüst regiert grausam die Inquisition, während Revuegirls davor dafür sorgen, dass die Show des Amüsements weitergeht.

Diese Gratwanderung zwischen den Genres passt hervorragend zu Leonhard Bernsteins musikalischer Stilvielfalt und Theatralik. Barrie Kosky entdeckt in „Candide“ weit mehr als das Musical oder die komische Operette. In den schlichten Melodien offeriert sich große Oper, in manchen Szenen Peachum Bettlerheer aus Brechts  Dreigroschenoper,  in den Dialogen existentielles Theater und zwischendurch Slapstickeinlagen von der feinsten Art. Wenn Candide und die Putzfrau auf der Rückreise bei servierten Sekt plaudern, leuchten „Dinner for One“-Humor und Becketts „Warten auf Godot“ gleichzeitig auf.

Kritk "Candide" präsentiert schabel-kultur-blog.de
©monikarittershaus

Die Bühne in Schwarz und Lichteffekten ermöglicht das Überall und Jederzeit, bringt die pfiffigen Kostüme und witzige Choreographien zum Leuchten und vermittelt nebelverhangen die kosmische Einsamkeit Candides.

Der Clou ist, dass jede Szene perfekt zu Bernsteins Musik passt und Barrie Kosky in frischer Originalität,  Bernsteins mitreißende Rhythmik mit perkussiven Klatschen, Klopfen, Sprachspielereien noch intensiviert.

Unter dem flott spritzigen Dirigat Jordan de Souzas präsentiert das Staatsorchester der Komischen Oper Berlin Bernsteins „Candide“  in all ihren Facetten mit präziser Artikulation und spannungsreicher Dynamik. Chapeau, das ist eine Produktion, in der alles bis auf das letzte i-Tüpfelchen stimmt, Amüsement immer durch Tiefgang funktioniert.

Michaela Schabel