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Landshut – Interview zu Serhij Zhadans „Waffenstillstand im Donbass“ als deutsche Erstaufführung

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Landshut – Interview zu Serhij Zhadans „Waffenstillstand im Donbass“ als deutsche Erstaufführung
©Markus Bartl, Philipp Kiefer
Herr Bartl, Herr Kiefer, Sie strahlen trotz der vielen Arbeit. Was freut Sie?
Bartl: Wir können ein Projekt realisieren, das uns sehr wichtig ist, und fühlen uns von allen Sponsoren sehr stark unterstützt, insbesondere vom Landestheater Niederbayern, das uns alle seine Abteilungen großzügig zur Verfügung stellt. Es ist schon eine große Aufgabe, wenn man von einem Tag auf den anderen nicht nur Regisseur, sondern auch Produzent ist.
Serhij Zhadan beschäftigt Sie schon seit vielen Jahren. 2022 wurde er dreifach ausgezeichnet mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und dem Freiheitspreis der Frank-Schirrmacher-Stiftung. Schon 2010 brachten Sie seinen Roman „Depeche Mode“ damals noch im alten Stadttheater als Deutsche Erstaufführung auf die Bühne. Was fasziniert sie an Serhij Zhadans Texten?
Bartl: Es ist seine Sprache. Ich habe selten einen Roman gelesen, der sich so für die Bühne eignet. Seine Personen sind sehr lebendig und autark. Es sind eigenständige Figuren, die es in Zhadans Umfeld tatsächlich gibt. In „Depeche Mode“ waren es seine Mitstudenten, die auch so wie im Alltag sprechen. Selbst die größten Versager sind mit Liebe oder zumindest mit Tragik bedacht.
„Depeche Mode“, erster Teil einer Trilogie, spiegelt Zhadans Jugendjahre. „Waffenstillstand im Donbass“ ist reifer. Jetzt sind die Figuren sozusagen erwachsen und älter geworden. Die Welt hat sich verändert. „Depeche Mode“ war noch eine Art tragisch-komische Folie, über die man sich lustig machen konnte. 2014 wurde plötzlich alles ganz real. Die Vergangenheit holte die Gegenwart ein. Die postsowjetische Welt war plötzlich als Zukunftsszenario präsent. Serhij Zhadan ist inzwischen der Chronist des interkontinentalen Zerwürfnisses inklusive der spöttischen Begriffe postsowjetischer Resozialisation, was wir in den letzten Jahren auf unseren Reisen in Osteuropa immer stärker an der polarisierenden, aufgehetzten Kommunikation erleben konnten.
Wie würden Sie den Plot des 130-seitigen Textes zusammenfassen?
Kiefer: Im Niemandsland des Krieges versucht ein Sohn seine Mutter zu beerdigen. Die Nachbarschaft kommt hinzu und sucht selbst Hilfe. Schließlich entscheiden sich alle dafür, das Haus zu verlassen.
Seit Februar 2022 beginnt die ganze Welt sich zu verändern. Erwartet die Zuschauer eine politische Inszenierung?
Bartl: Wir lassen die Tagespolitik draußen. Das Stück und die Figuren sprechen für sich selbst, brauchen keine Kommentare und aktuellen Anspielungen. Es würde mich blockieren, wenn ich mich mit dieser abartigen Situation beschäftigen müsste. Das Stück greift viel weiter. Mich interessieren die transzendenten, mythischen Dimensionen, die sich in den einfachen Dialogen eröffnen.
Worin wird Mythos konkret fühlbar?
Kiefer: Das beginnt schon bei der Lage der Ortschaft. Man kann sie aus einem anderen Roman geografisch recherchieren. Wie das griechische Omega schottet der Fluss das Haus von der Heimat ab. Umzingelt vom Feind ist keine Rettung möglich. Die Stimmung ist existenziell düster und die Felder beginnen zu brennen.
Wie würden Sie das Theaterstück einordnen?
Bartl: Das Genre liegt zwischen Tschechow und Beckett. Es gibt bei Zhadan diesen typisch osteuropäischen Humor wie bei den Tschechowschen Figuren, diese melancholische Langeweile, absolut parodistisch gemeint, aber bei uns zuweilen allzu ernst rezipiert. Tschechows Ambivalenz zwischen Humor und Tragik taucht auch bei Zhadan auf und der Grundtenor ist wie bei Beckett geprägt von existentieller Nichtigkeit.
Der Text enthält viele lyrische Passagen. Wie gehen Sie damit um?
Bartl: Wir lassen diese Passagen in der Inszenierung weg. Die Passagen erklären sich daraus, dass „Waffenstillstand im Donbass“ als Theatertext in einem richtigen Buch mit Fotografien erschienen ist.
Befolgen Sie die exakten Regieanweisungen?
Kiefer Im Prinzip schon, so weit das möglich ist. In der Kaserne haben wir allerdings weder Treppe noch ersten Stock. Entsprechend verändern sich Ortsangaben, entstehen eher doppeldeutige Situationen in Bezug auf „oben“. Wir wollen hinter dem Realismus das Transzendente zeigen. Die Inszenierung bleibt bewusst offen, damit der Zuschauer seine Deutungshoheit behält. Er kann das Stück selbst zu Ende denken.
Hat sich Zhadan persönlich in die Realisierung des Projekts eingebracht?
Kiefer: Überhaupt nicht. Dazu ist er viel zu beschäftigt. Er beantwortet auch nur kurze Mails und die ebenso in gebotener Kürze, aber immer mit zustimmenden und aufmunternden Worten und Wünschen.
Bartl: Die ukrainische Uraufführung in Charkiw war sehr realistisch, in Kiew eine Groteske. Jetzt sind wir natürlich sehr auf Ihre Version gespannt. Herzlichen Dank Herr Bartl und Herr Kiefer für das Interview und viel Erfolg bei der Premiere am 8. Dezember in der Alten Kaserne.