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Landshut – Wagners „Siegfried“ am Landestheater Niederbayern – Von der Spielshow in den Mythenkosmos

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Landshut – Wagners „Siegfried“ am Landestheater Niederbayern – Von der Spielshow in den Mythenkosmos

©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai

Im ersten Akt, einer exotischen Waldlandschaft, in der Siegfried mit seinem Ziehvater Mime haust, leuchtet bereits die Fronarbeit der Nibelungen via Video auf. Statur und Stimme Siegfrieds, alias Michael Heim, weisen ihn als Kraftkerl aus, allerdings als einen ausgesprochen hölzernen, behäbigen Typen, unvorteilhaft kostümiert. Umso agiler wirkt Jeff Martin als Mime, viel sympathischer als üblich. Wotan präsentiert seine Fragen mit vier Antworten in bekannter Quizshow-Manier. Das gesuchte Schwert ist natürlich nicht „Blutung“, sondern „Nothung“. Nebenbei zaubert Wotan aus dem Hut einen Blumenstrauß, trägt ein Blumenemblem als Gesinnungszeichen und lässt Flitter auf die Bühne gleiten. Durch diese eher banalen parodistischen Spielereien gewinnt der zweite Teil umso größere Dramatik.

©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai

Mit sängerischer Wucht agiert Stefan Stoll als Alberich. Mit abgründiger Tiefe singt Heeyun Choi die Minipartie des Fafner, ein Highlight des Abends, kaum sichtbar in dem aufgeblasenen XXXL-Ungetüm des vollgefressenen Riesen, der sich durch entsprechende Maske effektvoll in einen Drachen verwandelt.

Den Drachen getötet, Tarnkappe und Hort im Besitz ist Siegfried trotzdem kein Stück weiser. Michael Heim meistert zwar ein voluminöses Siegfried-Debüt, aber ohne heldischen Glanz und emotionale Schattierungen. Das übernehmen die anderen Stimmen. Emily Fultz singt den Waldvogel aus dem Off zauberhaft schön. Vertanzt von Sunny Prasch entwickeln sich wunderbar poetische Szenen, die sogar etwas auf Siegfrieds Körpersprache abfärben. 

Auf einem Plateau mit weitem Blick auf vulkanische Urlandschaften fokussiert der dritte Akt ganz auf Mythos. Im gigantomanischen grünen Kleid ganz Teil der Natur räkelt sich Tiina Penttinen als Erda wie eine traumatische Erscheinung hoch und verschwindet wieder sanft. Abgründig wie die Landschaft ist ihr Timbre, noch tiefer Stephan Bootz durchdringender Bass, womit er Wotan große Expression verleiht. Noch kann dieser Gott seine Macht nicht abgeben, erst als Siegfried dessen Stab zerteilt. Nun ist Siegfried nicht mehr aufzuhalten. Er durchbricht den Feuerkreis, agiert im Video und auf der Bühne und findet mit Brünnhilde, stimmlich fulminant mit Peggy Steiner besetzt, das Ziel seiner Sehnsucht. Liebe wird zum Gegenentwurf von Macht. Siegfrieds Stimme beginnt jetzt auch zu glänzen.

Opernkritik Wagners "Siegfried" am Landestheater Niederbayern präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai

Unter der musikalischen Leitung von Basil H. E. Coleman gelingt wieder Erstaunliches. Gekonnt dirigiert er die Piano-Strukturen der Ouvertüren. Wie ziseliert kommen die Motivgruppierungen und atmosphärischen Modulationen zur Wirkung, wobei schon kleine Crescendi große Wirkung zeigen und die Textdeutlichkeit der Sänger angenehm überrascht. Instrumentalgruppierungen und Soli leuchten klangschön auf. Bei den großen Fortissimi dagegen fehlt es vor allem im ersten Akt an Transparenz, Trennschärfe und Timing. Doch selbst im höchsten Klanginferno setzen sich die Stimmen klar durch. Sie wirken wie Anker im musikalischen Gestürm. Man darf auf den Aufbruch in die neue Zeit im vierten Teil der „Götterdämmerung“ gespannt sein.